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Im Schatten des Feuerbaums: Roman

Im Schatten des Feuerbaums: Roman

Titel: Im Schatten des Feuerbaums: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carla Federico
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Mädchen«, begann sie nachdenklich, »ich gönne dir alles Glück der Welt. Aber ich hoffe, du weißt, worauf du dich einlässt, wenn du dir William Brown zum Feind machst. Bis jetzt betrachtet er dich als lästiges Insekt, das er mühelos verscheuchen kann. Wenn du Tiago gegen seinen Willen heiratest, bist du hingegen ein lästiges Insekt, das er zerquetschen will. Und das mit der bloßen Hand.«
    Aurelia wollte etwas einwenden, und auch Victoria hatte ihre Sprache wiedergefunden, doch erneut hob Valentina ihre Hände, um sie zum Schweigen zu bringen, und fuhr, diesmal an Victoria gewandt, fort: »Aurelia hat eine Entscheidung getroffen, und sie wird mit den Konsequenzen leben müssen. Niemand hat sie zu irgendetwas gezwungen, es ist ihr freier Wille, der ihr sagt, was sie zu tun hat. Auch wenn du ihre Entscheidung nicht gutheißt, so musst du doch eins akzeptieren: Wir kämpfen für die Selbstbestimmung aller Frauen. Wenn wir um die Freiheit kämpfen, dass jede Frau ihre Talente leben kann, dann müssen wir ihr auch die Freiheit zugestehen, ihrem Herzen zu folgen.«
    So viele empörte Worte hatten Victoria auf den Lippen gelegen, doch Valentinas Einwand brachte sie zum Verstummen. Plötzlich war da keine Wut mehr auf die Oberschicht und die Kapitalisten in ihrem Herzen – nur tiefster Schmerz. Und dieser Schmerz rührte nicht daher, dass Aurelia Tiago heiraten wollte, sondern dass Jiacinto sie niemals heiraten würde. Er glaubte nicht an die Ehe, und auch wenn er es täte, würde er wohl kaum sie, die er als streng und steif bezeichnet hatte, als Frau erwählen. Tiago dagegen liebte Aurelia so sehr, dass er mit seiner Familie brach.
    Plötzlich stiegen ihr heiße Tränen hoch. Sie fühlte sich so einsam, wie sie sich seit Monaten nicht mehr gefühlt hatte. Ähnlich hoffnungslos war sie nur nach dem Tod ihrer Eltern gewesen – und in diesem Augenblick vermisste sie sie glühend wie nie. Arthur würde irgendeine lustige Bemerkung machen, die ihr Leid schmälerte – und Emilia würde sie an sich ziehen, über ihr Haar streicheln und so lange ihren Namen wiederholen, bis sie sich beruhigt hatte.
    Victoria schluckte die Tränen hinunter. Wenn sie jetzt zu weinen begann – um ihre Eltern oder um Jiacinto –, würde sie nie wieder damit aufhören.
    »Ich habe an dich geglaubt«, sagte sie eisig zu Aurelia. »Und ich glaube immer noch, dass du eine große Malerin sein kannst. Erwarte aber nicht, dass ich dir die Knöpfe deines Hochzeitskleides schließe. Wenn du bei den Espinozas lebst, will ich nichts mehr mit dir zu tun haben.«
    Aurelias Züge verzerrten sich schmerzlich, aber sie sagte kein Wort. Sie nahm ihre Tasche, nickte mit zusammengepressten Lippen erst Victoria, dann Valentina zu und ging hocherhobenen Hauptes aus dem Raum. Erst als sie die Schwelle übertreten hatte, hörte Victoria, wie sie in Tränen ausbrach, und erst jetzt, ungeachtet dessen, dass Valentina bei ihr blieb und sie nachdenklich beobachtete, ließ sie ihren eigenen freien Lauf.

    An diesem Abend war Valentina Veliz so aufgewühlt, dass sie ein übliches Ritual vergaß: Für gewöhnlich trank sie in den Abendstunden gerne ein Glas Portwein mit Pepe und erzählte Heldengeschichten über Francisco, doch diesmal saß sie nur stumm in ihrem Ohrensessel und starrte vor sich hin.
    Pepe machte sich auf seine Weise bemerkbar: Er setzte sich auf den Stuhl ihr gegenüber und beklagte sich in wie üblich ellenlangen Selbstgesprächen über den Lärm im Haus und dass ein Glas Portwein für seine Nerven das Richtige wäre. Sich dazu überwinden, ihn nur sich selbst einzuschenken, konnte er jedoch nicht.
    Irgendwann hob Valentina den Kopf und sah ihn ganz ohne den üblichen Tadel an. »Ich glaube nicht, dass Aurelia so schnell zu uns zurückkommt.«
    Pepe wirkte sehr betroffen. Zwar hatte er stets darüber genörgelt, wie viel Unruhe die beiden jungen Frauen ins Haus gebracht hatten, aber offenbar, das ging Valentina erst jetzt auf, hatte er an Aurelia einen Narren gefressen. Wie auch nicht, dachte sie, so hübsch, wie sie war, so voller Lebendigkeit und Frohmut und Leidenschaft.
    »Und was wird nun aus Victoria?«, fragte Pepe.
    »Sie wird natürlich bleiben.«
    Valentina seufzte tief. Sie mochte keinen Streit, und am allerwenigsten mochte sie einen solchen unter Frauen. Alles, was ihre Routine störte, war ihr zutiefst zuwider – und auch alles, was der Überzeugung entgegenlief, dass Frauen zusammenhalten müssten und sich nicht bekämpfen

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