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Im Schatten des Feuerbaums: Roman

Im Schatten des Feuerbaums: Roman

Titel: Im Schatten des Feuerbaums: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carla Federico
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feiern.
    Tiago zögerte und fragte schließlich Aurelia, ob ihr das recht wäre. Sie zuckte hilflos die Schultern; sie hatte noch nicht viele Eheschließungen erlebt, um sich zu überlegen, welche sie sich für sich selbst erträumte. Als Kind war sie dabei gewesen, als Don Andrea, ein italienischer Missionar, ihre Mutter und ihren Stiefvater Balthasar getraut hatte. Es war ein fröhliches, unkonventionelles Fest gewesen, bei dem viel gelacht, getrunken und gegessen wurde. Gleicher Don Andrea hatte mal gesagt, dass die Choleraepidemie 1886 eine Strafe für die Einführung der gotteslästerlichen Zivilehe sei, aber auch darüber wurde gelacht, weil man auf der Estancia über fast alles lachte, was Don Andrea sagte, dieser dickliche, schnell überforderte Priester, der sich gerne reden hörte, aber sich im Ernstfall unter dem Küchentisch verkroch.
    In dieser Woche gab es nichts zu lachen.
    Als sie vor dem Zivildiener standen, waren ihrer beiden Gesichter angespannt. Tiago war unglücklich, weil er Alicia eingeladen hatte, diese aber ihr Kommen verweigert hatte. Und Aurelia war unglücklich, weil sie es wusste, aber nicht die rechten Worte gefunden hatte, um Tiago seinen Schmerz zu nehmen.
    Auch Victoria war nicht gekommen – lediglich Pepe und Valentina. Wenn Valentina eine Meinung zu dieser Eheschließung hatte, verriet sie es nicht. Sie zwinkerte Aurelia zwar aufmunternd zu, hielt sich aber ansonsten strikt an die Devise, dass die Mädchen selber wissen mussten, was sie wollten, und dass sie ihnen diesen Willen lassen würde, selbst wenn sie ins Verderben schritten.
    Nun, sie ging nicht ins Verderben, sie liebte Tiago, doch bei Valentinas Anblick wurde ihr das Herz schwer. Übermächtig wurde die Sehnsucht nach ihren Eltern, vor allem nach ihrer Mutter. Sie wusste, die beiden würden sich freuen, wenn sie erfuhren, dass ihre Tochter ihr Glück gefunden hatte, aber ohne sie war sie sich dieses Glücks plötzlich nicht mehr so sicher. Sie fühlte sich verloren, und Santiago schien eine fremde Stadt.
    Nach der Trauung lud Valentina in ein französisches Restaurant ein. Ramiro Espinoza erhob erst Einwände, denn er hatte bei sich zu Hause einen festlichen Imbiss geplant, aber er gab schließlich nach – vielleicht aus Geiz, weil er so nicht selbst für die Kosten aufkommen musste, vielleicht aus Einsicht, dass er seine Gastfreundschaft nicht überstrapazieren durfte, um Tiagos Würde nicht zu verletzen.
    Aurelia konnte sich nicht erinnern, was sie aß, lediglich, dass Pepe Unmengen in sich hineinstopfte und seine Selbstgespräche sich diesmal nicht um seine Mutter drehten, sondern um Victoria.
    »Es ist nicht richtig, dass sie deiner Hochzeit ferngeblieben ist. Trotz allem ist sie deine Freundin. Es gibt Momente im Leben, da muss man zurückstecken.«
    Aurelia seufzte. »Sag ihr, dass sie mir gefehlt hat«, bat sie, »und sag ihr, dass ich Tiago doch so sehr liebe!«
    Pepe nickte und wirkte unglücklich. Valentina machte indes weiterhin ein ausdrucksloses Gesicht, Doktor Espinoza lächelte freundlich, aber irgendwie verbissen, Andrés sah sie gar nicht erst an, und Tiago – Tiago nahm immer wieder ihre Hand, um sie schmerzhaft zu drücken.
    Sie wusste, er wollte ihr mit dieser Geste Mut machen, die Hoffnung verleihen, dass alles gut werden würde, solange sie nur vereint waren, aber insgeheim fühlte sich Aurelia nicht mutig, nicht hoffnungsvoll, sondern erschöpft wie nach einem langen Kampf.

    Am Abend zogen sich Aurelia und Tiago erstmals gemeinsam ins Schlafzimmer zurück – bis jetzt hatten sie bei den Espinozas in zwei verschiedenen Räumen geschlafen. Das Zimmer gehörte zu den größten im Haus, doch es war zur Südseite ausgerichtet und jetzt am Abend stickig und heiß. Tiago öffnete die Fenster und lehnte sich hinaus, während Aurelia im angrenzenden Ankleidezimmer rasch in das Spitzennachthemd schlüpfte, das ihr Valentina geschenkt hatte. Es war wunderschön, kratzte jedoch am Hals und war um die Brust etwas zu eng.
    Etwas anderes machte ihr das Atmen genauso schwer – nicht länger das Gefühl, dass alles viel zu schnell ginge, sondern dass sie mit Tiago unmöglich in einem Bett liegen konnte, solange eine Lüge zwischen ihnen stand. Sie hatte in den letzten Tagen nicht darüber nachgedacht, so wie es auch bei ihrem Kennenlernen keine Bedeutung gehabt hatte, doch als ihr nun aufging, dass sie verheiratet waren, ohne dass sie ihm je die Wahrheit über sich gesagt hatte, überkam sie tiefe Scham.

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