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Im Schatten des Feuerbaums: Roman

Im Schatten des Feuerbaums: Roman

Titel: Im Schatten des Feuerbaums: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carla Federico
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Sie brach in Tränen aus, als sie das Schlafzimmer betrat – was nach dem angespannten Tag zwar befreiend war, Tiago aber zutiefst erschreckte.
    »Mein Gott, Aurelia, was hast du?«, fragte er und trat rasch zu ihr.
    So ungezügelt die Tränen aus ihren Augen quollen, so schnell perlten auch die Worte über ihre Lippen. Ihr fiel nichts ein, wie sie ihn sachte darauf vorbereiten konnte, sondern erklärte schlichtweg: »Es gibt etwas, was du nicht über mich weißt. Ich bin eine Mapuche … in mir fließt das Blut der Indianer. Mein Vater war Spanier und meine Großmutter mütterlicherseits wohl auch, zumindest zum Teil. Der Vater meiner Mutter aber, Quidel, war durch und durch Mapuche …«
    Tiago hatte seine Hände ausgestreckt, um ihre zu ergreifen, wich nun aber zurück. Immerhin – in seinem Gesicht breitete sich eher Verwirrung aus, nicht Entsetzen und Gott sei Dank kein … Ekel.
    »Aber … man sieht es … man sieht es gar nicht …«, stammelte er.
    »Ja, ich weiß, meine helle Haut habe ich wohl von meinem Vater, schwarze Haare tragen auch Spanierinnen, und schon meine Mutter hat eine Zeitlang die Wahrheit vertuschen können. Aber das ändert nichts daran, dass es so ist. Und wenn es dein Vater wüsste …«
    Tiagos Gesicht verdunkelte sich, und kurz befürchtete sie, dass sein Ärger ihr galt. Doch offenbar dachte er an William Brown, denn er erklärte trotzig: »Er wird es nie erfahren! Und ich werde nicht zulassen, dass er mit Verachtung auf dich herabblickt!«
    Unvermittelt zog er sie an sich und barg ihren Kopf an seiner Brust. »Mach dir keine Sorgen, es wird alles gut, ich liebe dich.«
    Ihre Schultern bebten zwar noch, aber ihre Tränen versiegten. Das Nachthemd kratzte immer noch an ihrem Hals, doch es störte sie nicht länger, genauso wenig wie die Hitze in diesem Raum. Eine Last fiel von ihr ab, und sie fühlte sich nicht nur befreit, sondern stark. Sie würde ihr Leben anpacken, egal, was kommen würde, solange sie nur Tiago an ihrer Seite wusste und Tiago sie liebte.
    Er löste sich von ihr, blickte sie an, wirkte nun selbst schuldbewusst: »Ich muss dir auch etwas gestehen«, brachte er hervor.
    »Was?«
    Er antwortete nicht, sondern wandte sich ab, trat zu einer der Kommoden und zog eine Mappe aus der Schublade, die jener glich, in der sie ihre Bilder sammelte.
    »Ich habe dir nie meine Bilder gezeigt … Du kennst nur dieses eine, das bei uns im Salon hängt …« Er sprach mit belegter Stimme, als würde er sich schämen.
    Sie trat näher, noch hielt er die Mappe geschlossen. »Ich will sie schon so lange sehen, aber ich habe nicht gewagt, dich zu fragen, und …« Sie brach ab. Er hatte die Mappe geöffnet, und einzelne Blätter Papier fielen heraus. Sie bückte sich rasch, sammelte sie mit zitternden Händen ein und betrachtete sie. Die meisten Bilder waren mit dem Kohlestift gezeichnet, keine ausgereiften Bilder, eher Skizzen und Pläne für solche, die er später in Ölfarben festhalten wollte. Sie erkannte einige Orte von Santiago wieder – einen Brunnen, einen Marktstand, einige Bäume, die die Alameda säumten. Menschen hatte er so gut wie keine gemalt, und wenn, dann nicht einzeln, sondern in Massen: Das war auf den Bildern, die offenbar Historiengemälde werden sollten und Szenen der Geschichte Chiles darstellten: die Gründung Santiagos durch Pedro de Valdivia oder der Unabhängigkeitskrieg gegen Spanien. Zumindest glaubte Aurelia all das zu erkennen, sie verstand nicht viel von Geschichte – und sie verstand auch nicht viel von Historienmalerei. Etwas wirr kamen ihr diese Bilder vor, denn es war schwer zu erkennen, was ihren Mittelpunkt darstellte.
    »Du … du bist gut«, sagte sie, weil ihr nichts anderes einfiel.
    »Nein, das bin ich nicht!«, brach es aus ihm hervor. »Ich habe jahrelang Unterricht bekommen, teilweise von den besten Malern Chiles. Ich weiß alles über die Herstellung von Farben, ich habe ein gutes Gefühl für Formen und Geometrie, wahrscheinlich würde ich einen brauchbaren Architekten abgeben. Aber keinen großartigen Maler. Ich bin nicht so gut wie du – deine Bilder haben etwas Besonderes, etwas Einzigartiges, sie atmen den Geist von Freiheit … Aber ich … ich kann nur kopieren.«
    »Red keinen Unsinn!«, entfuhr es ihr.
    Er entriss ihr seine Bilder, stopfte sie in die Mappe zurück und schloss sie schnell.
    »Du hast mir die Wahrheit über dich gesagt – also werde ich jene über mich nicht länger verschweigen. Und diese

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