Im Schatten des Fürsten
Metallwirker konnte beinahe jeden anderen Fechter besiegen. So abgebrüht, wie sie ausgesehen hatten, verfügten sie sicherlich über Erfahrung, also würden sie sich gut abstimmen. Hätte es sich nur um einen einzelnen
Mann gehandelt, hätte sich Tavi vielleicht an ihn heranschleichen und einen Überraschungsangriff wagen können. Aber bei vier Männern war das aussichtslos - und sie einfach anzugreifen wäre reiner Selbstmord, sogar wenn Tavi mit mehr als seinem Messer bewaffnet gewesen wäre.
Max, das wusste Tavi aus dem Übungssaal, gehörte zu der Art Fechter, die das Zeug zu einem Helden der Lieder und Legenden haben - oder er würde durch seinen Übermut ums Leben kommen, ehe er seine Heldentaten vollbringen konnte. Max besaß tödliche Fertigkeiten im Schwertkampf, allerdings war der Übungssaal etwas anderes als die Straße, und gegen Fechtfreunde anzutreten war etwas anderes als gegen gedungene Mörder. Selbst mit seiner ganzen Erfahrung in der Legion war Max vielleicht noch nicht ausreichend auf die regellosen Kämpfe in den Straßen der Hauptstadt vorbereitet. Und mochte Max noch so überzeugt von sich selbst sein, so fürchtete Tavi trotzdem um seinen Freund.
Und um seine Tante sowieso und noch viel mehr. Isana hatte ihr gesamtes Leben, das wusste Tavi, auf Wehrhöfen verbracht, und sie hatte nur eine vage Vorstellung davon, wie heimtückisch es in der Hauptstadt zuging. Sicherlich hätte sie sich niemals einer Kurtisane angeschlossen, wenn sie geahnt hätte, wie eine solche Frau ihren Lebensunterhalt verdiente. Auch hatte seine Tante vermutlich niemanden zu ihrem Schutz mitgebracht, vor allem, da sie ja auf Gaius’ Einladung hin hergekommen war. Tavi fragte sich, warum der Erste Fürst ihr nicht Amara oder einen anderen Kursor als Begleitung an die Seite gestellt hatte, während sie im Palast zu Gast war. Gaius hatte keinen Grund, sie in die Hauptstadt zu holen, nur damit sie hier umgebracht wurde. Dazu galt sie viel zu sehr als symbolischer Ausdruck seiner Macht.
Was bedeutete, dass die Verbindungen irgendwo zusammengebrochen waren. Isana wurde wahrscheinlich nicht ausreichend bewacht und womöglich auch noch von jemandem begleitet, der sie arglos in Gefahr brachte. Nachdem Tavi sie gefunden hätte, würde er sie sofort in den sicheren Palast mitnehmen. Auch wenn
er ihr nichts von dem erzählen durfte, was dem Ersten Fürsten zugestoßen war, handelte er doch in Gaius’ Interesse, wenn er sie beschützte, und Tavi war sicher, er konnte Killian dazu überreden, ihr ein Gästezimmer zu überlassen, wo die Fürstliche Wache sie vor allen Gefahren bewahren konnte.
Vorausgesetzt, es war noch nicht zu spät.
Kalte Angst durchströmte ihn, verlieh ihm noch mehr Kraft, und so rannte er unermüdlich und dachte voller Sorge nur an die Frau, die ihn wie ihr eigenes Kind aufgezogen hatte.
Als Renzo urplötzlich hinter einem abgestellten Wagen hervortrat, hatte Tavi kaum Zeit, auf den riesigen Jungen zu reagieren, der mit der Faust nach ihm schlug. Tavi drehte sich und wehrte den Schlag mit erhobenen Händen ab, aber dem größeren Jungen gelang es mit seiner elementarunterstützten Riesenkraft, Tavi taumelnd gegen die Steinmauer eines weiteren gigantischen Stadthauses zu stoßen.
Tavi brach sich zwar bei dem Aufprall weder die Schulter noch den Schädel, er ging jedoch zu Boden. Im Mund schmeckte er Blut. Renzo stellte sich in seiner braunen Tunika über ihn, kniff die Schweinsaugen zusammen und ballte die Pranken zu Fäusten.
Dann kicherte jemand, und Tavi drehte den Kopf. Varien trat hervor. Er hatte sich an derselben Stelle versteckt gehalten wie zuvor Renzo. »Nicht schlecht«, sagte Varien. »Sieh ihn dir nur an. Gleich fängt er an zu weinen, glaube ich.«
Tavi prüfte seine Arme und Beine und wollte sich dann vom Boden hochdrücken. Und dabei verschmolzen Angst, Sorge und Demütigung zu einer scharfen Klinge. Seine Tante war in Gefahr. Möglicherweise das ganze Reich. Und diese beiden Dummköpfe hatten sich genau diesen Zeitpunkt für ihre Spielchen ausgesucht.
»Varien«, sagte Tavi ruhig. »Ich habe jetzt keine Zeit für euren Quatsch.«
»Es dauert nicht lange«, meinte Varien höhnisch. »Ich bin mit Renzo vorausgeflogen, aber Brencis wird auch gleich da sein. Er
möchte sich mit dir unterhalten, weil du so unverschämt warst, uneingeladen auf seinem Fest zu erscheinen.«
Tavi richtete sich auf und trat Varien und Renzo entgegen. Als er sprach, klang seine Stimme wie die eines Fremden,
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