Im Schatten des Fürsten
meine einzige Blutsverwandte. Meine Familie. Kannst du dir nicht vorstellen, was das für mich bedeutet? Hast du eine Familie, Ritter Miles?«
Darauf folgte Schweigen. Nach und nach wich ein Teil der Wut aus der Miene des Hauptmanns.
»Nicht mehr«, antwortete Miles leise.
Tavi wandte sich wieder Faede zu, der sich nicht gerührt hatte. Allerdings meinte Tavi, ein gewisses Zittern bemerkt zu haben, als das Wort ›Familie‹ gefallen war.
Miles seufzte. »Bei den Elementaren, Junge. Was du angestellt hast, könnte schlimme Folgen haben. Das Reich hält kaum noch zusammen. Wenn draußen bekannt wird, in welchem Zustand sich Gaius befindet, könnte das einen Bürgerkrieg nach sich ziehen. Einen Angriff von unseren Feinden. Es könnte den Tod von Tausenden bedeuten.«
Tavi zuckte zusammen. »Ich weiß«, sagte er. »Ich weiß.«
»Meine Herren.« Killian hob den Kopf. »Wir alle wissen, was auf dem Spiel steht. Vorwürfe helfen uns gegenwärtig kaum weiter. Unsere Pflicht besteht vielmehr darin, den entstandenen Schaden zu sichten und Maßnahmen zu ergreifen, damit wir ihn so gering wie möglich halten können.« Er richtete die blinden Augen auf Tavi, und seine Stimme klang deutlich kälter. »Wenn wir diese Krise überstanden haben, können wir uns überlegen, welche Folgen bestimmte Entscheidungen für Einzelne von uns nach sich ziehen sollten.«
Tavi schluckte. »Ja, Herr.«
»Schaden«, entfuhr es Miles. »So kann man es auch ausdrücken. Wir haben keinen Ersten Fürsten mehr, der die wichtigsten Aufgaben der Repräsentation im Reiche wahrnehmen könnte. Wenn er nicht öffentlich auftritt, werden die Hohen Fürsten Fragen stellen. Sie werden sich Antworten mit Geld erkaufen. Und früher oder später wird irgendjemand begreifen, dass niemand weiß, wo Gaius eigentlich steckt.«
»Und genau an dem Punkt dürfen wir Maßnahmen erwarten«, sann Killian, »die die Autorität des Ersten Fürsten auf die Probe stellen. Sobald das geschieht und Gaius nicht angemessen reagiert, ist es nur eine Frage der Zeit, bis jemand nach der Krone greift.«
»Können wir einen anderen Doppelgänger finden?«, fragte Miles.
Killian schüttelte den Kopf. »Es war schon ein kleines Wunder, dass Antillar überhaupt in seine Rolle schlüpfen konnte. Ich kenne keinen anderen Wirker, der über die entsprechenden Fähigkeiten
verfügt und dem wir gleichzeitig vertrauen können. Am besten wir suchen Ausflüchte, mit denen wir die Abwesenheit des Ersten Fürsten für das verbleibende Winterend-Fest entschuldigen, und überlegen uns vor allem, wie wir die Nachforschungen der Hohen Fürsten behindern können.«
»Meinst du, wir können sie in Schach halten?«, wollte Miles wissen.
»Ich glaube, sie brauchen eine gewisse Zeit, bis sie die Gelegenheit überhaupt als solche erkannt haben«, sagte Killian. »Und wir sollten versuchen, den Zeitpunkt der Erkenntnis weiter hinauszuzögern, damit der Erste Fürst die Chance erhält, sich zu erholen.«
Miles schnaubte. »Wenn der Erste Fürst nicht beim Winterend erscheint - oder die neuen Cives nicht dem Senat und den Fürsten präsentiert -, wird sein Ruf dadurch einen Schaden nehmen, der sich vielleicht nie wiedergutmachen lässt.«
»Welche Wahl bleibt uns schon«, erwiderte Killian.
»Hm«, machte Tavi. »Was ist mit Max?«
Killian zog eine Augenbraue hoch. »Wieso?«
»Wenn wir ihn so dringend brauchen, können wir ihn nicht aus der Haft holen?« Tavi schüttelte den Kopf. »Ich meine, wir haben den Siegeldolch des Ersten Fürsten. Wir können einen Befehl erteilen.«
»Unmöglich«, gab Miles trocken zurück. »Antillar wird des tätlichen Angriffs und des Mordversuchs auf einen Civis beschuldigt - noch dazu auf den Sohn eines Hohen Fürsten. Nicht zu vergessen die beiden anderen jungen Männer, die dazu bestimmt waren, in Kalares Legionen Ritter zu werden. Antillar muss von den Civis-Legionares bis zum Gerichtsverfahren festgehalten werden. Nicht einmal Gaius kann sich über dieses Gesetz hinwegsetzen.«
Tavi biss sich auf die Unterlippe. »Und wenn wir ihn … gewissermaßen auf nichtamtlichem Wege herausholen?«
Miles runzelte die Stirn. »Ein Ausbruch?« Er zog die Nase kraus und dachte nach. »Killian?«
»Fürst Antillus hat nie ein Geheimnis aus Maximus’ Fähigkeiten
gemacht«, antwortete Killian. »Deshalb haben sie ihn im Grauen Turm untergebracht.«
Miles zuckte zusammen. »Ach.«
»Was ist der Graue Turm?«, erkundigte sich Tavi. »Den kenne ich gar
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