Im Schatten des Fürsten
sehen, ob ich das richtig verstanden habe«, sagte der alte Lehrer. »Du bist losgezogen und hast den Grauen Turm gefunden. Dann bist du durch ein Fenster im sechsten Stockwerk eingestiegen, und zwar, indem du ein Seil mit Haken vom Aquädukt hinübergeworfen hast. Dabei hast du dich vor den Luftelementaren mit einem gesalzenen Mantel geschützt, und vor den Erdelementaren, indem du den Boden nicht berührt hast. Anschließend hast du den Turm Stockwerk für Stockwerk durchsucht und Antillar gefunden, ihn befreit und auf dem gleichen Weg wieder herausgebracht, ohne dabei gesehen zu werden.«
»Ja, Maestro«, sagte Tavi. Er versetzte Max mit der Hüfte einen Stoß.
»Eigentlich hat er schon alles erzählt«, sagte Max. »Nur eins nicht: Die Zelle, in der sie mich untergebracht hatten, war besser als alle Zimmer, die ich bisher in der Akademie oder zu Hause gehabt habe.«
»Mhm«, sagte Killian trocken. »Gaius Sekundus ließ diese luxuriöse Zelle einrichten, als er die Gemahlin des Fürsten von Rhodos in Haft nahm. Sie wurde des Hochverrats beschuldigt, doch nie vor Gericht gestellt oder gar verurteilt, obwohl der
Erste Fürst sie über fünfzehn Jahre hinweg dreimal in der Woche verhörte.«
Max lachte schallend. »Na, das ist aber eine wirklich aufwändige Art, sich eine Geliebte zu halten.«
»Dadurch hat er einen Bürgerkrieg verhindert«, gab Killian zurück. »Und in den Chroniken wird durchaus angedeutet, dass sie tatsächlich eine Verräterin war. Was die ganze Sache entweder verständlicher oder noch unbegreiflicher macht. Ich bin mir nicht sicher, was.«
Tavi seufzte erleichtert. Killian war zufrieden - vielleicht sogar mehr als zufrieden. Der Maestro erzählte nur dann Anekdoten aus alten Zeiten, wenn er gute Laune hatte.
»Tavi«, sagte Killian. »Ich bin neugierig zu erfahren, was dich darauf gebracht hat, es auf diese Weise zu versuchen.«
Tavi warf Max einen Blick zu. »Hm. Meine Abschlussprüfung bei dir, Herr. Ich hatte schon Nachforschungen angestellt.«
»Und diese Nachforschungen waren so überzeugend, dass du die Sicherheit des Reiches aufs Spiel gesetzt hast?«, fragte er milde. »Ist dir eigentlich bewusst, welche Folgen es gehabt hätte, wenn du erwischt worden oder abgestürzt wärest?«
»Im Erfolgsfalle wäre ja alles gut gewesen. Nun ja, hätte man mich erwischt und wäre Gaius nicht erschienen, um mir zu helfen, wäre sein Zustand wohl bekannt geworden. Wäre ich abgestürzt, hätte ich mir keine Gedanken mehr wegen meiner Geschichtsprüfung bei Maestro Larus machen müssen.« Er zuckte mit den Schultern. »Die Chancen standen also zwei zu eins, dass etwas Gutes dabei herauskommen würde, Herr. Gar nicht so übel, oder?«
Killian lachte, doch es klang bitter. »Nur solange du erfolgreich bist.« Er schüttelte den Kopf. »Es ist nicht zu fassen, wie leichtfertig du gehandelt hast, Akadem. Aber du hast es geschafft. Irgendwann wirst du allerdings verstehen, dass im Leben Erfolg und Sieg die eingegangenen Risiken verhüllen, während das Scheitern umso deutlicher macht, wie töricht man gehandelt hat.«
»Ja, Herr«, antwortete Tavi respektvoll.
Urplötzlich schlug Killian mit dem Stock zu und traf Tavi am Schenkel. Sein Bein war wie betäubt, und er ging mit schmerzverzerrtem Gesicht zu Boden.
»Wenn du jemals wieder«, sagte Killian leise, »einem meiner Befehle zuwiderhandelst, bringe ich dich um.« Der blinde Maestro starrte Tavi aus leeren Augen an. »Hast du verstanden?«
Tavi keuchte ein atemloses »Ja« und umklammerte das Bein, bis das Brennen nachließ.
»Das hier ist kein Spiel, Junge«, fuhr Killian fort. »Deshalb sollst du dir Gedanken über die Folgen deiner Handlungen machen. Hast du mich verstanden, und zwar in allen Punkten?«
»Ja, Maestro«, sagte Tavi.
»Sehr gut.« Killian wandte sich Max zu. »Antillar, du bist ein Idiot. Trotzdem schön, dass du wieder hier bist.«
Max antwortete vorsichtig: »Wirst du mich auch schlagen?«
»Natürlich nicht«, meinte Killian. »Du bist heute verletzt worden. Aber ich kann dich gern verprügeln, wenn alles vorbei ist. Falls du dich dann besser fühlst.«
»Nicht nötig«, meinte Max.
Killian nickte. »Kannst du deine Rolle weiterspielen?«
»Ja, Herr«, sagte Max, und Tavi fand, die Stimme klang wesentlich kräftiger, als sein Freund wirkte. »Ich brauche nur einige Stunden Ruhe.«
»Sehr gut«, sagte Killian. »Leg dich auf die Pritsche. Du darfst nicht gesehen werden, wie du zwischen der Meditationskammer
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