Im Schatten des Fürsten
falls du glaubst, du hättest einen Eindringling bemerkt, ruf mich sofort.«
Isana kniff die Augen zusammen. »Verlass dich drauf, Herr«, sagte sie, »wenn ich mich bedroht fühle, werde ich ganz bestimmt an dich denken.«
Das schwache Lächeln wirkte einen Moment lang fast so, als sei
es ehrlich gemeint. Dann verneigte sich Fidelias und verließ das Zimmer.
Isana betrachtete mit verzerrtem Gesicht ihre Wunde und stemmte sich im Bett hoch. Vor Schmerz kniff sie die Augen zusammen und wartete ab, bis das Pochen nachließ. Schließlich erhob sie sich, langsam und vorsichtig, und ging durch das Zimmer, immer einen Schritt nach dem anderen. Sie schob den Riegel vor die Tür und näherte sich erst dann der Wanne. Der Kessel über dem Feuer hing gnädigerweise an einem Schwenkarm, daher konnte sie ihn über den Zuber ziehen und heißes zu dem kalten Wasser gießen, bis das Badewasser angenehm warm war. Anschließend zog sie sich das fleckige Unterhemd von der Schulter, löste den Verband vom Bauch und ließ sich unter Schmerzen in die Wanne gleiten.
Sofort spürte sie Bächlein, der sich wie eine sanfte Wolke aus Sorge und Zuneigung um sie schloss. Isana nahm die letzten Reste des Verbandes ab und führte den Elementar sanft durch den Prozess der Wundheilung. Zunächst brannte das Fleisch wie Feuer, dann stellte sich ein taubes Kribbeln ein, als der Elementar sich an die Arbeit machte, und nach einigen Augenblicken innerer Sammlung sank Isana entspannt in das Wasser zurück. Der Schmerz war so gut wie verschwunden, die Stelle fühlte sich allerdings noch steif und gereizt an. Im Wasser schwebte Blut, die Haut hingegen war rosa und frisch wie die eines Säuglings. Sie ließ noch etwas heißes Wasser nachlaufen und lehnte sich zurück.
Nedus war tot.
Serai war tot.
Die beiden hatten ihr Leben gegeben, um ihres zu retten.
Und jetzt war sie allein, fern aller Freunde, fern der Familie. Niemandem hier durfte sie trauen.
Nein, nicht fern ihrer Familie. Tavi wohnte in der Stadt. Doch sie konnte ihn nicht finden, schon seit sie angekommen war. Selbst wenn ihr Brief ihn erreicht hatte, war der Junge nicht zu Nedus’ Haus gegangen.
Oh Elementare. Wenn er bei Nedus gewesen war, weil er den Brief erhalten hatte, wenn er auf sie gewartet hatte, als sich das Mörderpack in den Hinterhalt legte …
Und Bernard. Sie hatte eine schreckliche Ahnung, dass er in Lebensgefahr schwebte, und nicht nur er, sondern alle seine Leute, und noch immer hatte sie den Ersten Fürsten nicht erreicht, um ihm über die Ereignisse im Calderon-Tal Bericht zu erstatten. Wenn sie bei dem Überfall des Meuchelmörders in der Scheune auf ihrem Wehrhof gestorben wäre, sie hätte für ihren Bruder und ihren Neffen auch nicht weniger erreichen können.
Sie schloss die Augen und drückte die Handballen gegen die Stirn. Die Angst, die Sorge, die quälende Hoffnungslosigkeit und Vergeblichkeit übermannten sie, und plötzlich hatte sie die Arme um die Knie geschlungen, hatte sich zusammengekauert und weinte.
Als sie den Kopf wieder hob, war das Wasser lauwarm. Ihre Augen brannten von den Tränen.
Ihr Ziel hatte sich nicht geändert, seit sie in der Hauptstadt eingetroffen war. Sie musste Hilfe für die suchen, die sie liebte.
Und dazu alle Mittel einsetzen, die ihr zur Verfügung standen.
Nachdem sie sich angezogen hatte, zog sie den Riegel von der Tür zurück und öffnete sie. Fidelias - ein Mörder, ein Hochverräter und der Diener eines skrupellosen Fürsten - wartete artig im Gang. Er blickte sie fragend an.
Sie hob das Kinn. »Bring mich zu diesem Treffen. Und zwar sofort.«
37
Botschafter Varg floh durch die Tunnel der Tiefen, und Tavi folgte ihm.
Auf den ersten hundert Schritten hätte nicht viel gefehlt und Tavi wäre in Panik ausgebrochen. Er war unbewaffnet und verfügte über keinerlei Mittel, um sich gegen den Cane zu verteidigen. Varg konnte ihn hier unten ungestraft in Stücke reißen, daher hielt Tavi es für Selbstmord, zu dem Cane aufzuschließen. Aber Varg hatte Kitai. Was sollte Tavi also anderes tun, als ihm zu folgen?
Dann fiel ihm etwas auf. Selbst mit der Last eines Gefangenen hätte Varg ihm ohne größere Anstrengung entkommen können. Die Kampfrudel der Canim bewegten sich in der Schlacht oft schneller als die Legionen, es sei denn, diese erhöhten ihre natürliche Geschwindigkeit und Ausdauer, indem sie Straßen benutzten. Und obwohl Varg rasch davoneilte, ließ er nie einen zu großen Abstand zu Tavi entstehen. Der
Weitere Kostenlose Bücher