Im Schatten des Fürsten
wird mein Volk über euch herfallen, Junghund. Aber wenn ich dann die Kehle deines Ersten Fürsten aufreiße, wird das auf dem Schlachtfeld geschehen, nachdem ich euer Land verbrannt, eure Häuser zerstört und eure Krieger niedergemetzelt habe - und sogar dich. Es wird keine Geheimnisse geben. Keine Zauberei. Keinen Verrat. Eines Tages reiße ich dir und eurer ganzen Brut den Bauch auf, Aleraner. Und dabei werde ich mich nicht arglistig verstellen.«
Plötzlich bekam Tavi Angst, und er musste heftig schlucken.
Varg fuhr fort: »Sarls Vorgehensweise ist mir zuwider. Er opfert das Leben meines Rudels um eines Verrates willen, mit dem er euer Land zu erobern hofft. Er widersetzt sich meinem Befehl. Er schließt einen Pakt mit unbekannten Mächten, die eine fremdartige Hexenkunst einsetzen. Er beraubt uns eines Sieges in Ehre und in Leid.« Varg hob die Krallen der rechten Hand und betrachtete sie einen Moment lang. »Das lasse ich nicht zu.«
»Außerdem will er deinen Tod«, erinnerte Tavi ihn.
Varg zeigte wieder die Zähne. »Leider habe ich zu spät entdeckt, was er treibt. Bis auf zwei Krieger wurden alle aus meinem Kampfrudel verhext. Sie gehorchen nicht mehr meinem Befehl. Und sie werden mich jagen. Vielleicht werden sie mich töten. Immerhin soll Sarl nicht sagen können, dass er mich vollkommen besiegt hat. Daher musst du den nächsten Schritt machen, Junghund.«
»Ich?«, fragte Tavi.
Varg nickte und knurrte: »Wir haben nicht mehr viel Zeit, ehe Sarl loszieht. Und selbst wenn ich mit Gaius sprechen könnte, würde er mir wahrscheinlich nicht glauben.« Varg zog die Kapuze seines Mantels über und ging zu einem Seitengang, der von der langen Höhle abzweigte. »Nicht mehr lange, dann wird mir Sarl auf den Fersen sein. Ich werde ihn in die Irre führen. Du bist jetzt der Einzige, der sie aufhalten kann, Junghund.«
Varg verschwand in der Dunkelheit des Tunnels und ließ ihnen die trübe rote Lampe zurück.
»Bei den Krähen«, fluchte Tavi leise. »Warum passiert das eigentlich immer mir?«
38
Eins musste Fidelias der Wehrhöferin Isana lassen: Die Frau hatte Mut. Erst wenige Stunden zuvor war sie bei einem Überfall schwer verwundet worden und hatte so gut wie alle Menschen verloren, die sie in der Hauptstadt kannte. Sie selbst war dem Tod nur um Haaresbreite entgangen; hätte Fidelias nur einen Wimpernschlag länger gebraucht, um den Schützen zu erschießen,
würde sie nun ebenfalls nicht mehr leben. Und sogar jetzt befand sie sich in Gesellschaft von Mördern und Hochverrätern.
Dennoch strahlte sie Ruhe und Würde aus, als sie die Sicherheit des Hurenhauses hinter sich ließ. Klaglos hatte sie einen langen Mantel übergezogen, wenn ihr auch im großen Gastraum angesichts dessen, was sich dort abspielte, die Röte ins Gesicht gestiegen war.
»Dieser Stellvertreter«, fragte Isana auf dem Weg nach draußen. »Wird er von deinem Auftraggeber unterstützt?«
Fidelias fiel die Wortwahl der Frau auf. Sie hätte genauso gut »Fürstin Aquitania« und »Fürst Aquitania« sagen können, doch sie hatte sich dagegen entschieden. Ihr schien klar geworden zu sein, dass Fidelias hier, wo sie leicht belauscht werden konnten, keine Namen nannte, und hatte das respektiert. Daher keimte die Hoffnung in ihm, sie sei vielleicht durchaus offen genug, sich auf ihre Seite zu schlagen.
»Aber ganz und gar«, erwiderte er.
»Ich stelle Bedingungen«, warnte sie.
Fidelias nickte. »Damit wirst du bis zum Treffen warten müssen, Wehrhöferin«, sagte er. »Ich bin nur ein Bote und eine Eskorte. Aber ich denke, ihr werdet sicherlich zu einer Übereinkunft kommen.«
Isana neigte den Kopf, der unter der Kapuze verborgen war. »Sehr wohl. Wie weit ist es noch?«
»Nicht mehr weit, Wehrhöferin.«
Isana seufzte leise. »Ich habe auch einen Namen. Langsam reicht es mir, dass mich alle nur Wehrhöferin nennen.«
»Betrachte es als Kompliment«, riet Fidelias ihr. Plötzlich sträubten sich ihm die Nackenhaare, und er musste sich beherrschen, sonst hätte er sich unwillkürlich umgedreht und sich umgeschaut wie eine erschrockene Katze. Jemand folgte ihnen. Er hatte das Spiel lange genug gespielt, daher entgingen ihm die Zeichen nicht. Doch zunächst brauchte er keine Einzelheiten zu erfahren. Er hatte sein Gesicht gestern schon zu oft in der Öffentlichkeit
gezeigt, und es gab jede Menge Speichellecker, die ihn nur zu gern der Krone ausliefern und dafür die Belohnung einstreichen würden. »Keine andere Frau im Reich
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