Im Schatten des Fürsten
den anderen an. Er sah kurz zu Tavi, dann fiel sein Blick auf den Boden hinter ihm. »Verfluchte Krähen«, murmelte er. »Guck dir das an.« Er ging ein paar Schritte zu dem Loch.
»Was denn?«, fragte Cardis.
»Es scheint, als hätte jemand versucht …«
Ehren schob Kopf und Schultern durch das Loch, und der kleine Schreiber rammte Turk sein Messer durch den schweren Lederstiefel und den Fuß bis in den Boden. Turk schrie entsetzt auf und wollte zurückweichen, konnte jedoch den Fuß nicht bewegen und stürzte.
Kitai stieß ein Heulen aus, in dem eine so wilde Wut mitschwang, dass einem das Blut in den Adern gefror. Sie bäumte sich einmal und noch einmal auf, und der Stuhl, an den sie gefesselt war, zerbrach in seine Einzelteile, wobei die einzelnen Stücke an ihren Gliedern hängen blieben. Sie schwang einen Arm in weitem Bogen und ließ die Armlehne auf Cardis’ Messerhand niederkrachen. Die Waffe fiel klappernd zu Boden.
Ehren schrie, und das vierte Brett löste sich. Dann kam er aus dem Loch und trat Turk hart gegen den Kopf. Dem gelang es, mit seinem geschwungenen Messer nach Ehren zu stechen und den Akadem auch zu treffen. Ehren taumelte zurück, und sein Bein konnte sein Gewicht nicht mehr halten. Er ging hinter Tavi zu Boden, krabbelte jedoch weiter, schnappte sich Cardis’ Messer und säbelte Tavis Fesseln auf.
Tavi beobachtete, wie sich Turk das Messer aus dem Fuß zog,
die Klinge in die Finger nahm und in Richtung von Ehrens Rücken schleuderte.
»Runter!«, schrie Tavi. Ehren war vielleicht nicht von besonders eindrucksvoller Gestalt, aber dafür war der kleine Gelehrte flink. Er duckte sich, und das Messer traf die Rückenlehne des Stuhls und prallte davon ab.
Als Turk zum Angriff überging, hatte Tavi die Arme wieder frei. Er hüpfte mit dem Stuhl herum, lehnte sich aber zu weit auf eine Seite und kippte um. Er war einfach zu langsam. Turk stürmte mit seinem kalarischen Messer heran.
Kitai stieß einen Schrei aus und schlug nach Turk. Sie traf den Mann nicht, zwang ihn jedoch, sich zu ducken, und das verschaffte Tavi wertvolle Zeit. Er hob Ehrens Messer vom Boden auf und drehte sich um, als Turk ihn am Haar packte. Das Messer sauste herab. Tavi wehrte den Hieb mit dem Unterarm ab und stach gleichzeitig mit dem Messer zu.
Die Klinge bohrte sich tief in die Innenseite von Turks Oberschenkel. Das Blut spritzte.
Kitai stürzte sich auf Turk, packte ihn mit den Händen hinten am Schädel und vorn am Kinn. Sie heulte auf, vollführte einen kräftigen Ruck mit dem ganzen Körper und brach dem Mann das Genick. Er ging wie ein Sack zu Boden. Sofort schnappte sich Kitai das Messer und schlitzte Turk vorn das Hemd auf. Mit wilden Augen fixierte sie die Stelle, an der sich das Herz befinden musste, setzte die Klinge an und wollte schneiden.
»Kitai«, keuchte Tavi und löste die Fessel von seinen Beinen. »Kitai!«
Sie fuhr zu ihm herum. Ihr Gesicht erschien ihm wie eine Maske ungehemmter Mordlust. Blut tropfte von dem Messer, und die Finger der anderen Hand schoben sich bereits an die Stelle, die sie aufgeschnitten hatte, um dem Toten das Herz herauszureißen.
»Kitai«, wiederholte Tavi, noch ruhiger. »Hör zu. Bitte tu das nicht. Wir haben keine Zeit.«
Sie erstarrte, und ihre Augen funkelten verunsichert.
»Meine Beine«, fuhr Tavi fort, »ich fühle sie nicht mehr. Ich brauche deine Hilfe. Du musst mich hier rausbringen, ehe noch mehr von denen kommen.«
Sie kniff die Augen zusammen und wirkte beinahe erfreut. »Noch mehr? Sollen sie kommen.«
»Nein«, sagte Tavi. »Wir müssen weg hier, Kitai. Schneid mich los. Oder gib mir das Messer.« Er streckte ihr die Hand entgegen.
Sie starrte ihn an, und die Wildheit in ihren Augen erlosch nach und nach. Sie stand reglos da und keuchte. Ihr Körper war mit blauen Flecken, kleinen Schnitten und den Abdrücken der Fesseln bedeckt. Nachdem sie einen Augenblick verharrt hatte, drehte sie das Messer um und reichte es ihm, Griff voraus, ehe sie sich neben ihn kniete.
»Bei den großen Elementaren«, keuchte Ehren leise. »Ist das eine … Marat?«
»Das ist Kitai«, antwortete Tavi. »Eine Freundin von mir.« Er schnitt ihr die Fesseln so sanft wie möglich von den Gliedern. Sie saß einfach da und wartete teilnahmslos, während ihre Lider langsam immer tiefer herunterklappten und der wilde Tatendrang nachließ.
»Ehren?«, fragte Tavi. »Kannst du gehen?«
Der andere Junge nickte und schnitt sich ein Stück Saum von der Tunika ab, das er
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