Im Schatten des Fürsten
mein Fehler. Ich habe das Wesen nicht erkannt, bis es zu spät war.«
»Im Wachswald?«, sagte Bernard.
Doroga nickte. »Als dein Neffe und Kitai vom Gericht zurückkehrten, ist ihnen etwas gefolgt.«
»Du meinst Wachsspinnen?«, fragte Bernard.
Doroga schüttelte den Kopf. »Etwas Größeres. Etwas weitaus Größeres.«
»Moment mal«, meinte Amara. »Sprichst du über ein Wesen oder über viele?«
»Ja«, sagte Doroga. »Deshalb stellt es ein Gräuel vor Dem Einen dar.«
Amara hätte beinahe das Gesicht verzogen. Dieser Marat sprach Aleranisch, und trotzdem verwendete er die Sprache so, dass man ihn manchmal schlicht nicht verstehen konnte. »Ich glaube, von so einem Wesen haben wir noch nie gehört, Doroga.«
Der Häuptling zuckte mit den Schultern. »Ja, eben. Deshalb bin ich gekommen. Um euch zu warnen.« Er trat einen Schritt näher, beugte sich vor und flüsterte: »Das Gräuel ist hier. Die Weisheit nennt uns den Namen seiner Günstlinge. Die Vordu-ha .« Er schauderte, als würde ihm bei den Worten kalt werden. »Und es verrät uns den Namen des Wesens selbst. Es heißt das Vord.«
Einen Augenblick lang herrschte Schweigen. Schließlich hakte Bernard nach: »Woher weißt du das?«
Doroga deutete mit dem Kopf in Richtung Hof. »Ich habe gestern in der Dämmerung mit zweitausend Kriegern gegen ein Vord-Nest gekämpft.«
»Wo sind die Krieger jetzt?«, erkundigte sich Amara.
Der Marat blickte unentwegt ins Feuer. »Hier.«
Amara fiel vor Schreck die Kinnlade herunter. »Aber du hast nur zweihundert mitgebracht …«
Doroga starrte sie hart an, mit brennenden Augen, während Amaras Worte nachklangen. »Wir haben mit viel Blut bezahlt, um das Vord in diesem Nest zu vernichten. Aber die Weisheit verrät uns, dass sich die Vord, wenn sie ihr altes Nest verlassen, in drei Gruppen aufteilen und neue Nester bauen. Sie breiten sich aus. Wir haben eine dieser Gruppen aufgespürt und vernichtet. Doch es gibt noch zwei weitere. Ich glaube, eine davon hat sich hier in eurem Tal an den Hängen des Berges namens Garados versteckt.«
Bernard runzelte die Stirn. »Und die andere?«
Statt einer Antwort griff Doroga in die Umhängetasche und zog einen abgewetzten alten Lederrucksack heraus. Den warf er Bernard in den Schoß.
Amara spürte, wie Bernard erstarrte, als er den Rucksack sah.
»Bei den großen Elementaren«, flüsterte er. »Tavi.«
5
Eine Staubwolke wallte auf und zog durch den Stall von Isanahof, dann schien die Sonne in goldenen Strahlen durch das Loch im Dach herein. Isana starrte auf den riesigen Balken. Ohne Vorwarnung war er einen Augenblick, nachdem sie zum Tiere füttern in die Scheune eingetreten war, einfach zusammengebrochen. Hätte sie einen einzigen Schritt in die andere Richtung gemacht oder wäre sie einfach nur ein wenig langsamer gegangen, würde sie nun tot bei den zermalmten Hennen liegen, die weniger Glück gehabt hatten, und nicht daneben stehen und vor Schreck zittern.
Ihr erster Gedanke galt den Hofbewohnern. War einer von ihnen in der Scheune gewesen, oder oben auf dem Heuboden? Bei den Elementaren, hatten dort oben Kinder gespielt? Isana rief ihren Elementar und durchsuchte mit Bächleins Hilfe die Luft - aber der Stall war leer.
Was vermutlich der springende Punkt ist, dachte sie, da ihr plötzlich eine Erklärung für das Unglück dämmerte. Sie erhob sich, immer noch zitternd, und ging zu dem durchgebrochenen Balken.
Eine Hälfte der Bruchstelle wies Splitter und Zacken auf. Der andere Teil jedoch war glatter, fast so sauber, als wäre er mit einer Säge durchtrennt worden. Aber ein Sägeblatt war hier nicht am
Werk gewesen. Das Holz zerbröselte unter ihrer Hand, als hätte sich eine Armee Termiten darauf gestürzt. Elementarbeschwörung, dachte Isana. Und zwar vorsätzlich.
Kein Unfall.
Jemand hatte sie ermorden wollen.
Plötzlich wurde Isana sich der Tatsache bewusst, dass sie mutterseelenallein im Stall stand. Das Hofvolk war draußen auf den Feldern, denn das Pflügen und Säen musste in den nächsten Tagen zu Ende gebracht werden, und die Hirten hatten alle Hände voll mit Geburt und Pflege von Lämmern, Kälbern, Zicklein und dem Gargantennachwuchs zu tun. Sogar die Küche, die dem Stall am nächsten lag, war im Moment verwaist, da die Wehrhoffrauen, die dort arbeiteten, in der Halle beim Essen saßen.
Kurz gesagt, wahrscheinlich hatte niemand gehört, wie der Balken brach, und vermutlich würde es auch niemand mitbekommen, wenn sie laut riefe. Einen
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