Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Im Schatten des Fürsten

Im Schatten des Fürsten

Titel: Im Schatten des Fürsten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jim Butcher
Vom Netzwerk:
aufdringlich sein.«
    »Natürlich wolltest du das nicht«, sagte Gaius. Er stellte das Weinglas so hart auf den Tisch, dass der Stiel brach. »Niemand will jemals aufdringlich sein, wenn er einem der Mächtigen dieses Reiches gegenübersteht. Aber deine Worte offenbaren deinen Mangel an Respekt vor meinem Urteil, meinem Amt und meiner Persönlichkeit.«
    »Nein, mein Fürst, ich wollte nicht …«
    In Gaius’ Stimme schwang Wut mit, und der Boden bebte. »Schweig still, Junge. Ich werde keine weiteren Unterbrechungen mehr dulden. Du hast keine Ahnung, was von mir verlangt wird. Wie viel ich opfern musste, um dieses Reich zu beschützen. Dieses Reich, dessen Hohe Fürsten um mich herumschleichen wie
ein Rudel Schakale. Wie Krähen. Ohne jeden Dank. Ohne jede Gnade. Ohne Respekt.«
    Tavi erwiderte nichts. Der Erste Fürst sprach in seinem Zorn so schrill und undeutlich, dass er ihn kaum verstehen konnte. Nie zuvor hatte er seinen Herrn in einem solchen Zustand erlebt.
    »Hier«, sagte Gaius. Er packte Tavi plötzlich am Kragen und zerrte den Jungen mit beängstigender Kraft in die Sehkammer, auf das wirbelnde Mosaik, dessen Lichter und Farben flackerten und tanzten und mit Licht und Schatten das Land des Reiches nachbildeten. In der Mitte des Mosaiks stieß Gaius die freie Hand in die Luft, und die Farben verschwammen und fügten sich zur Darstellung eines entsetzlichen Sturms zusammen, der über ein unglückliches Küstendorf hinwegpeitschte.
    »Siehst du?«, knurrte Gaius.
    Tavis Angst ließ ein wenig nach, weil ihn dieses Schauspiel faszinierte. Das Bild des Dorfes wurde klarer, als würde er sich mit dem Fürsten näher heranbewegen. Er sah Menschen, die ins Landesinnere liefen, doch das Meer griff mit langen, schwarzen Armen aus Wasser nach ihnen. Die Wellen brandeten über das Dorf hinweg, und als sie wieder abliefen, waren die Menschen und ihre Häuser verschwunden.
    »Bei den Krähen«, flüsterte Tavi. Ihm drehte sich der Magen um, und nun war er froh, dass er nichts gegessen hatte. Nur mit Mühe brachte er hervor: »Kannst du sie nicht retten?«
    Gaius tobte. Seine Stimme donnerte wie das wilde Gebrüll einer Bestie. Die Elementarlampen leuchten grell auf, die Luft im Raum wogte in einem kleinen Wirbelsturm hin und her. Das steinerne Herz des Bergs bebte unter dem Zorn des Ersten Fürsten, und der Boden wankte so heftig, dass Tavi stürzte.
    »Was glaubst du eigentlich, habe ich getan !«, heulte Gaius. »Tag und Nacht! UND ES GENÜGT NICHT!« Er fuhr herum und fauchte wütend, woraufhin Tisch und Stuhl auf der anderen Seite des Zimmers in Flammen aufgingen - es folgte ein Kreischen, ein Blitz, eine Hitzewelle, und die verkohlten, noch glühenden Überreste
der Möbel flogen durch den Raum, krachten gegen die Wände und verteilten einen feinen Ascheregen in der Luft. »ALLES WEG! ALLES! ICH HABE NICHTS MEHR, WAS ICH NOCH GEBEN KÖNNTE, UND ES REICHT NOCH LANGE NICHT!«
    Damit brach die Stimme des Ersten Fürsten, und er fiel auf die Knie. Wind, Flammen und Steine beruhigten sich, und plötzlich war er wieder wie zuvor - ein Greis, der zu schnell gealtert war, weil er einen ewigen Kampf gegen das Böse in der Welt führte. Seine Augen waren noch tiefer in ihre Höhlen gesunken. Zitternd fasste sich Gaius mit beiden Händen an die Brust und hustete.
    »Herr!«, flüsterte Tavi und ging zu ihm. »Mein Fürst, bitte. Wie kann ich dir helfen?«
    Der Husten ließ nach. Allerdings glaubte Tavi, es lag eher daran, dass Gaius’ Lunge zu schwach wurde, nicht, weil sich der Zustand des alten Mannes besserte. Der Erste Fürst starrte das Bild des ausgelöschten Küstendorfes mit trübem Blick an. »Ich kann nicht mehr. Ich habe versucht, sie zu retten. Ihnen zu helfen. Ich habe alles versucht. So viel verloren. Und ich bin gescheitert.«
    Tavi standen die Tränen in den Augen. »Mein Fürst.«
    »Gescheitert«, wisperte Gaius. »Gescheitert.«
    Seine Augen verdrehten sich, und der Atem wurde flach und gehetzt. Der Erste Fürst keuchte. Seine Lippen wirkten rau und trocken.
    »Mein Fürst?«, sagte Tavi. »Mein Fürst?«
    Immer wieder versuchte Tavi, den Ersten Fürsten zu Bewusstsein zu bringen, indem er ihn bei seinem Namen und seinem Titel ansprach.
    Aber Gaius reagierte nicht.

9
    In diesem Augenblick begriff Tavi eine entsetzliche Wahrheit: Das Schicksal des Ersten Fürsten und damit ganz Aleras lag allein in seiner Hand.
    Was er jetzt unternähme, würde über die Zukunft des gesamten Reiches entscheiden. Einem

Weitere Kostenlose Bücher