Im Schatten des Fürsten
doch die Schuld daran kannst du nicht Gaius geben. Selbst seine Kommandanten wurden im Felde von der Marathorde überrascht.«
»Sie waren auf seinen Befehl hin dort. Es war seine Schuld.«
Amara richtete sich auf und schob das Kinn vor. »Bei den großen Elementaren, Wehrhöferin. Sein eigener Sohn kam bei der Schlacht ums Leben.«
»Das weiß ich«, fuhr Isana sie an. Weitere Worte lagen ihr auf der Zunge, doch die Wehrhöferin schüttelte den Kopf und hielt
sie zurück. Sie kämpfte gegen die Woge des Hasses in ihrem Herzen an. »Das ist längst nicht alles, was ich ihm vorwerfe.« Sie schloss die Augen. »Es gibt noch mehr.«
»Und zwar?«, fragte Amara.
»Das behalte ich für mich.«
Die Kursorin schwieg eine Weile und nickte schließlich. »Dann … werden wir uns in dieser Angelegenheit wohl nie einig werden, Wehrhöferin.«
»Das wusste ich schon, bevor wir angefangen haben zu reden, Amara«, sagte Isana. Der plötzliche Hass ebbte langsam wieder ab, und zurück blieben Müdigkeit und ein Gefühl der Trauer.
»Ich kenne ihn als disziplinierten, hervorragenden Herrscher. Und als ehrenwerten und aufrechten Mann. Er hat viel für das Wohl des Reiches geopfert, sogar seinen eigenen Sohn. Ich bin stolz, ihm zu dienen, so gut ich kann.«
»Und ich werde ihm niemals verzeihen«, sagte Isana. »Niemals.«
Amara nickte steif, und Isana spürte das Unbehagen hinter der höflichen Miene. »Tut mir leid, Wehrhöferin. Nach allem, was du gestern durchgemacht hast … Es tut mir leid. Vielleicht hätte ich nicht in dich dringen sollen.«
Isana schüttelte den Kopf. »Schon gut, Gräfin. Es ist besser, diese Dinge klarzustellen.«
»Vermutlich hast du Recht«, sagte Amara. Sie berührte die Tür, und die Spannung im Raum verschwand. »Ich werde dafür sorgen, dass die Sänfte bereitsteht und deine Eskorte etwas zu essen bekommt.«
»Warte«, sagte Isana.
Amara verharrte, die Hand auf der Tür.
»Du machst Bernard sehr glücklich«, sagte Isana leise. »Glücklicher, als ich ihn seit langem gesehen habe. Ich möchte nicht zwischen euch beiden stehen, Amara. Wir müssen nicht gleicher Meinung über den Ersten Fürsten sein, wenn du bei Bernard bleibst.«
Amara nickte und lächelte sie schweigend an, ehe sie das Zimmer verließ.
Isana starrte einen Augenblick in den Spiegel. Sie ging zur Truhe am Fußende des Bettes, öffnete sie und räumte Bettzeug, Schuhe, ein Kissen und eine kleine Holzschatulle heraus, die den Silberschmuck enthielt, den sie über die Jahre hinweg gesammelt hatte. Dann schob sie die Truhe mit aller Kraft zur Seite und bat Bächlein, das Wasser aus den Brettern zu ziehen, wodurch sie schrumpften und sich lockerten. Die trockenen Stücke entfernte sie und enthüllte dabei ein kleines Versteck unter ihnen.
Sie nahm einen kleinen Edelsteinbeutel aus Seide heraus, öffnete ihn und leerte den Inhalt in ihre Hand.
Ein eleganter Ring aus glitzerndem Silber an einer dünnen Kette fiel heraus. Das Metall war schwer und kühl. Der Ring war mit einem einzigen Edelstein besetzt, einem Stein, der außen wie ein blauer Diamant aussah und nach innen nahtlos in einen blutroten Rubin überging. Zwei Silberadler, einer ein wenig größer als der andere, bildeten die Fassung und hielten den Stein mit den Flügeln.
Der alte Schmerz, der alte Verlust erfüllten sie von neuem, während sie den Ring anschaute. Aber sie bat Bächlein nicht, ihre Tränen zu trocknen.
Sie hängte sich die Kette um den Hals und schob sie in ihr Kleid. Einen Moment lang betrachtete sie sich im Spiegel und verscheuchte die Röte aus ihren Augen. Jetzt hatte sie keine Zeit für die Vergangenheit.
Sie hob das Kinn, brachte ihr Gesicht in Ordnung und brach auf. Sie musste diese Reise antreten, um ihrer Familie, die sie aus ganzem Herzen liebte, zu helfen. Doch gleichzeitig half sie dabei dem Mann, den sie aus ganzer Seele hasste.
11
Amara beobachtete, wie die Ritter Aeris der Krone aus den grauen Wolken herabschwebten. Der Frühling hier oben im Norden konnte unangenehm kalt und feucht sein, doch der Regen, den ein gelegentliches Donnergrollen ankündigte, hatte bislang noch nicht eingesetzt. Amara erkannte den Mann, der die Eskorte anführte, und kurz spielte sie mit dem Gedanken, ein wenig nachzuhelfen, damit sich die Schleusen des Himmels früher öffneten. Und zwar direkt über seinem aufgeblasenen Kopf.
Ritter Horatio flog vor der Sänfte her. Seine verzierte Rüstung glänzte, selbst an einem trüben Tag wie diesem, und
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