Im Schatten des Fürsten
nicht mehr leben, wenn ich das Unglück, das über eine andere Familie hereinbricht, aufhalten könnte, es jedoch nicht täte. Und vor allem möchte ich es nicht.« Sie schüttelte den Kopf. »Ich weiß, das entspricht nicht genau dem, was du hören wolltest, doch mehr kann ich dir nicht versprechen. Bitte glaube mir.«
»Ich glaube dir«, sagte Isana ruhig. »Danke.«
Serai nickte gelassen, und nun wirkte auch sie wieder vollkommen ruhig und beherrscht.
»Meine Damen«, rief draußen jemand. Ein Ritter der Eskorte erschien am Fenster, ein junger Mann mit scharfen Zügen und dunklen, eindringlichen Augen. Er wirkte unrasiert und völlig erschöpft. »Im Sinkflug könnten wir auf unvorhersehbare Luftströmungen treffen. Ihr solltet die Haltegurte nutzen.«
Serai sah auf und lächelte plötzlich. »Ja, Rolf. Ich meine mich zu erinnern, dieses Gespräch schon einmal geführt zu haben. Wo ist der Subtribun?«
Der Ritter grinste und neigte den Kopf. Dann beugte er sich vor und flüsterte: »Er schläft auf dem Dach. Die Müdigkeit hat ihn übermannt. Beinahe wäre er uns abgestürzt.«
»Wie demütigend für einen Sieger der großen Rennen, wenn er in einem solchen Zustand landen sollte. Hat er dir gesagt, du sollst ihn wecken, ehe wir in die Hauptstadt einfliegen?«, fragte Serai.
»Eigenartig«, erwiderte Rolf. »Ich kann mich gar nicht erinnern. Ich bin so müde.« Er warf einen verächtlichen Blick zum Dach der Sänfte und fügte hinzu: »Also bitte, meine Damen, legt den Gurt an. Es wird nicht mehr lange dauern.«
Serai zeigte Isana, wie sie sich mit zwei geflochtenen, schweren Gurten sichern konnte, und kurze Zeit später begann die Sänfte zu schwanken und zu zittern. Es fühlte sich unheimlich an, aber Isana schloss die Augen und umklammerte die Gurte mit beiden Händen. Dann erfolgte ein harter Stoß: Sie hatten auf dem Boden aufgesetzt.
Serai seufzte zufrieden, faltete die Handarbeit zusammen und steckte sie in eine kleine Stofftasche. Nun lösten sie die Gurte und stiegen aus der Sänfte in das blendend grelle Sonnenlicht.
Isana schaute sich um; sie stand mitten in Alera Imperia, dem Herzen des Reiches.
Die Sänfte war auf einem riesigen Podest aus weißem Marmor gelandet, das größer war als Isanahof, jedenfalls als der Teil innerhalb der Mauern. Hier wehte ein fast stürmischer Wind, und Isana schützte die Augen mit einer Hand. Um sie herum landeten
weitere Sänften, die größte wurde von einem Dutzend Windwirker in der Luft gehalten. Die Ritter Aeris trugen die prächtigen Uniformen der jeweiligen Hohen Fürsten ihrer Stadt, und die anwesenden Männer wie Frauen waren in unglaublich kostbare Gewänder gekleidet. Edelsteine sowie Gold- und Silberfäden funkelten an ihren Kleidern, und ihr Haar und ihre Kleidung blieb von den wirbelnden Winden unberührt.
Mehrere Männer in braunen Tuniken liefen zu den Sänften, sobald diese aufsetzten, trugen sie elementarunterstützt zu einer breiten Treppe und von der Plattform hinunter, damit Platz für die nächsten geschaffen wurde. Weitere Männer, ebenfalls in brauner Tunika, brachten Speis und Trank für die Ritter, von denen sich viele, darunter auch Rolf und seine Männer, vor Erschöpfung einfach auf dem Podest niedergelassen hatten.
»Isana«, rief Serai durch den kräftigen Wind. Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und sagte einem Mann in brauner Tunika etwas ins Ohr, woraufhin dieser nickte und einige glänzende Münzen mit einem Wink von der Kurtisane entgegennahm. Serai winkte sie zu sich. »Isana, komm mit. Hier entlang.«
»Aber meine Tasche«, antwortete Isana.
Serai trat zu ihr, beugte sich vor und schrie fast: »Die wird im Haus abgeliefert. Wir müssen von der Plattform, ehe jemand auf - Isana .«
Plötzlich warf sich Serai Isana in die Seite. Überrascht ging Isana zu Boden - und sah einen kurzen, schweren Dolch, der genau dort entlangflog, wo sich einen Moment zuvor noch ihr Kopf befunden hatte.
Ein Krachen folgte, das sogar das Tosen des Windes an Lautstärke übertraf. Viele Menschen wandten ihnen die Köpfe zu. Der Dolch hatte die Sänfte mit solcher Wucht getroffen, dass das l ackierte Holz zersplitterte.
Serai blickte sich hektisch um und zeigte auf den Rücken eines Mannes in brauner Tunika, der gerade die Treppe hinunterrannte. »Rolf!«
Der Ritter blickte erschöpft von seinem Sitzplatz auf, verharrte noch eine Sekunde und erhob sich dann wackelig.
»Bei den Krähen und den verfluchten Elementaren!«, donnerte eine
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