Im Schatten des Fürsten
nur um das Kind, das ich aufgezogen habe und das in Gefahr ist, und um meinen Bruder, der vielleicht sterben muss, wenn es mir nicht gelingt, Hilfe für ihn aufzutreiben. Sie sind alles, was ich auf der Welt habe.«
Serai neigte den Kopf zur Seite, als würde sie eine wortlose Frage stellen.
Isanas Stimme zitterte. »Hilf mir.«
Serai richtete sich auf; sie hatte begriffen.
Isana drückte ihre Hand. »Hilf mir!«
Sie spürte Serais Schmerz, obwohl ihr Gesicht und ihre Augen ruhig blieben. »Dir helfen. Um den Preis, die Pflicht gegenüber meinem Herrn zu vernachlässigen?«
»Wenn es sein muss«, sagte Isana. »Ich werde alles Notwendige tun, um meiner Familie zu helfen. Nur weiß ich nicht, ob ich es allein schaffe. Bitte, Serai. Sie sind meine Familie.«
»Tut mir leid, Wehrhöferin, dass deine Verwandten in Gefahr sind. Aber meine Verwandtschaft sind allein die Diener der Krone. Ich werde meine Pflicht tun.«
»Wie kannst du so etwas sagen?«, fragte Isana. »Wie kannst du so gleichgültig sein?«
»Ich bin nicht gleichgültig«, widersprach Serai. »Ich weiß nur,
was auf dem Spiel steht - und zwar besser als jeder andere. Wenn es allein an mir läge, würde ich die Sorgen des Reiches vergessen und deine Familie retten.«
Silbrige Wahrheit schwang in diesem Flüstern mit, aber auch eiserne Entschlossenheit. Wieder breitete sich die Angst um ihre Familie in Isanas Brust aus. Sie senkte den Kopf, schloss die Augen und versuchte, das verhüllte Wirrwarr der Gefühle zu sortieren, die sie von der Kurtisane wahrnahm. »Ich verstehe nicht.«
»Wenn es an mir läge, würde ich dir helfen. Aber die Entscheidung liegt nicht bei mir«, antwortete Serai. Ihre Stimme war ebenso mitfühlend wie unnachgiebig. »Ich habe geschworen, dem Reich zu dienen. Die Welt von Carna ist ein kalter, grausamer Ort, meine Liebe. Voller Gefahren und voller Feinde. Das Reich allein schützt unser Volk.«
Plötzlich spürte Isana bitteren Hohn in sich aufsteigen. »Welche Ironie. Das Reich konnte dich nicht schützen, und dennoch bist du bereit, andere Familien zu opfern, wenn du damit demselben Reich dienen kannst.«
Serai zog ihre Hand zurück, und kalte, beherrschte Wut schwang nun deutlich in ihrer Stimme mit. »Ohne das Reich gäbe es überhaupt keine Familien.«
»Ohne Familie«, fuhr Isana auf, »gäbe es nichts für das Reich zu beschützen. Wie kannst das sagen, obwohl du über die Macht verfügst zu helfen?«
Serai wahrte die Distanz. »Bist nicht du diejenige, die soeben ihre Kräfte eingesetzt hat, um nach dem schmerzvollsten Augenblick in meinem Leben zu bohren, nur um dann Einfluss auf mich nehmen zu wollen? Es steht dir nicht zu, mich zu kritisieren, Isana.«
Isana ballte niedergeschlagen die Fäuste. »Ich habe dich nur gebeten, meine Familie zu beschützen.«
»Um den Preis meiner Loyalität«, erwiderte Serai unbeirrt. »Natürlich würde ich dir gern helfen, Wehrhöferin. Und deinen
Verwandten. Aber im Reich gibt es viele Menschen mit Familien. Wenn ich zehntausend retten könnte, indem ich deine opfere, würde ich es tun. Es wäre nicht richtig, und trotzdem notwendig. Und es wäre meine Pflicht. Ich habe einen Eid geleistet, dem Reich zu dienen, und dem werde ich nicht abschwören.«
Isana blickte aus dem Fenster. »Genug. Ich habe verstanden.« Und kurz darauf fügte sie hinzu: »Du hast Recht. Ich muss mich entschuldigen. Ich hätte nicht versuchen dürfen, deinen Schmerz über den Verlust auszunutzen.«
»Vielleicht«, meinte Serai nüchtern. »Vielleicht auch nicht. Ich habe bereits eine Familie bestattet, Wehrhöferin. Der Schmerz ist größer, als ich es mir hätte vorstellen können. Doch vielleicht hätte auch ich versucht, sie zu beschützen, wenn mir das möglich gewesen wäre. Und es wäre mir ganz normal erschienen.«
»Ich habe Angst. Wenn ich es nun nicht allein schaffe?«
Plötzlich lächelte Serai. »Darum geht es doch gar nicht, Schätzchen. Hör mir zu.« Sie beugte sich vor und sah Isana an. »Ich werde meine Pflichten meinem Herrn gegenüber erfüllen. Aber eher will ich sterben, als dass ich zulasse, dass dir oder den Deinen ein Leid geschieht. Das schwöre ich dir.«
Ihre Worte klangen so aufrichtig, so wahr, dass nicht einmal Serais Selbstbeherrschung ihre Ehrlichkeit verbergen konnte.
»Einen solchen Eid musst du mir nicht leisten«, antwortete Isana.
»Das stimmt«, sagte Serai. »Ich muss nicht. Aber letztendlich spielt es ohnehin keine Rolle, ob ich es tue. Ich könnte
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