Im Schatten des Fürsten
Besseren. Als der brutale, mörderische Sklavenhalter Kord hier noch das Sagen gehabt hatte, war der Hof nur eine Ansammlung heruntergekommener Wirtschaftsgebäude gewesen, die um ein Steinhaus standen, in dem Menschen und Tiere zusammengepfercht lebten. Aric hatte neue Leute auf das eigentlich fruchtbare und ohne Frage schöne Land gelockt. Dann war sogar eine kleine Silberader auf dem Grund entdeckt worden, und mit den Einkünften daraus hatte Aric nicht nur den riesigen Schuldenberg seines Vaters abtragen können, sondern auch genug Geld verdient, um ein sorgenfreies Leben zu führen.
Aber Aric hatte das Geld nicht für sich gehortet. Er verwendete es für sein Hofvolk und sein Haus. Jetzt stand hier eine dicke Mauer, die ebenso mächtig war wie die von Isanahof, und umgab die Gebäude, die alle neu aus Stein errichtet worden waren, darunter auch ein großer Stall für die Tiere. Aric hatte vier Garganten erworben, für die schwere Arbeit, die verrichtet werden musste, damit der Wehrhof sich richtig entfalten konnte. Im Laufe der letzten Jahre hatte sich die armselige Ansammlung baufälliger Hütten inmitten unkrautüberwucherter Brachflächen in ein ansehnliches Heim für über hundert Menschen verwandelt.
Und deshalb war der Anblick, der sich ihnen nun bot, umso unheimlicher. Keine Menschenseele war zu sehen. Aus den Schornsteinen stieg kein Rauch, und weder in den Gehegen noch auf den Weiden am Wehrhof liefen Tiere herum. Auch spielten draußen keine Kinder. Selbst die Vögel waren verstummt. Nur in der Ferne, westlich des Wehrhofes, ragte der Berg Garados düster und bedrohlich in die Höhe.
Es herrschte eine Stille wie auf dem tiefen Meeresgrund.
Fast alle Türen standen offen und schwangen im Wind hin und
her. Das galt ebenso für die Tore der Viehpferche und die Türen des steinernen Stalles.
»Hauptmann«, sagte Bernard leise.
Hauptmann Janus, ein grauer Legionsveteran und ein Ritter Terra mit beträchtlichen Fähigkeiten, trieb sein Pferd voran und scherte aus der Kolonne der Ritter aus, die sie nach Aric-Hof begleitet hatte. Janus, der ranghöchste Offizier der Ritter unter Bernards Befehl, war von durchschnittlicher Größe, doch sein Hals war so dick wie Amaras Taille, und schon ohne Erdkräfte verfügte er über eine immense Muskelstärke. Er trug den mattschwarzen Panzer der Legion, und eine hässliche Narbe quer über die eine Wange verzog seinen Mund zu einem immerwährenden hinterhältigen Grinsen.
»Herr«, sagte Janus. Seine Stimme war erstaunlich hoch für einen Mann seines Formats, und die Redeweise ließ vermuten, dass er eine gute Erziehung genossen hatte.
»Meldung, bitte.«
Janus nickte. »Ja, Herr. Meine Ritter Aeris sind über die Senke geflogen, haben aber niemanden entdecken können. Ich habe sie in einer lockeren Rautenformation eine Meile vor dem Wehrhof postiert, falls sich irgendwer dem Anwesen nähern sollte. Außerdem habe ich äußerste Wachsamkeit befohlen.«
»Danke. Giraldi?«
»Herr?«, sagte der Erste Speer, trat aus den Reihen der Fußsoldaten vor und schlug die Faust hart gegen den Brustpanzer.
»Stell Wachen auf der Mauer auf und sorge zusammen mit Hauptmann Janus dafür, dass der Hof verteidigt werden kann. Zwanzig Mann sollen in Vierergruppen die Gebäude durchsuchen und feststellen, ob sie wirklich leer sind. Danach tragt ihr alle Vorräte, die ihr findet, hier zusammen.«
»Wird erledigt, Herr.« Giraldi salutierte erneut, drehte sich zackig um, zog seinen Stab aus dem Gürtel und erteilte seinen Männern die entsprechenden Befehle. Janus wandte sich einem Untergebenen zu und sprach mit ihm. Obwohl er deutlich leiser
redete als Giraldi, sah man allein an seiner Haltung, über welche Befehlsgewalt er verfügte.
Amara beobachtete Bernard nachdenklich. Als sie ihn kennen gelernt hatte, war er ein Wehrhöfer und nicht einmal ein vollberechtigter Civis gewesen. Doch schon damals hatte sein Wesen Gehorsam und Treue verlangt. Nie hatte er Entscheidungen gescheut und immer gerecht und entschlossen gehandelt. In dieser neuen, aktiven Rolle als Graf Calderon kannte sie ihn noch nicht. Nun befehligte er die Offiziere und Soldaten von Aleras Legion mit dieser stillen Zuversicht, die aus Erfahrung und Wissen resultiert. Er hatte selbst in den Legionen gedient, das wusste sie, denn jeder Mann musste den Dienst für einen Zeitraum von zwei bis vier Jahren leisten.
Eigentlich war es erstaunlich. Gaius’ Entscheidung, Bernard zum neuen Grafen von Calderon zu ernennen,
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