Im Schatten des Galgens Kommiss
Augen hatten seit einiger Zeit einen starren Ausdruck angenommen.
Jetzt, da Dr. Bringhmoors sich wie hilfesuchend an sie wandte, erkannte sie, warum sie der Anblick F. Howard Whitmens so erregt hatte.
Langsam öffneten sich ihre Lippen, und sie sprach das aus, was so fürchterlich für sie alle war: „Sie haben richtig gesehen, Dr. Bringhmoors! Die Haut des Toten ist nicht wie sie sein sollte wachsgelb . . . sondern bläulichgrün . . . Das heißt für uns: wir müssen die Polizei verständigen, denn alle Anzeichen lassen darauf schließen, daß Mister Howard Whitmen das Opfer einer Vergiftung geworden ist."
Lange blieb es nach diesen Worten Sheila Longdens still zwischen den beiden Menschen im Mitteltrakt von ,Whitmen-Castle'. Und hätte Dr. Bringhmoors nicht hin und wieder unverständliche Worte leise vor sich hingemurmelt und dabei mit dem Kopf genickt, dann hätte man sie für zwei Statuen halten können.
Doch dann nahm sich der alte Doc, der in diesen Minuten wie ein gebeugter Greis dastand, zusammen. Rau und abgehackt hallte seine Stimme von den Wänden wider:
„Wir müssen es tun, Miß Longden! Wir müssen den Yard verständigen, der diese ungeheuerliche Mutmaßung von uns bis ins kleinste beleuchten wird. Hoffen wir nur, daß wir uns täuschen und daß die Obduktion einen anderen Sachverhalt als den von uns vermeintlichen ans Tageslicht bringen wird."
Obwohl es auch Sheila Longdens geheimster Wunsch war, sie möge sich geirrt haben, wußte sie nur zu gut, daß sie so gut wie keine Hoffnung auf das Eintreten dieses Falles mehr hatte. Gleichzeitig schoß ihr eine heiße Blutwelle ins Gesicht. Ihre Gedanken waren rein logisch auf die Tatsache gestoßen, daß, wenn ihr Pflegevater vergiftet worden war — es einen Menschen geben mußte, der diese ruchlose Tat ausgeführt . . .
Ihre Gedanken kreisten unaufhörlich um die Frage: Wer mochte wohl solch ein Interesse am Tod F. Howard Whitmens haben, daß er selbst nicht vor einem Mord zurückschreckte?
*
Mit der gleichen Frage beschäftigte sich auch an diesem Tage jenes Dezernat bei Scotland Yard, das unter anderem auch alle Arten von Vergiftungen zu bearbeiten — und verfolgen hatte. Es war das Sonderdezernat von Scotland Yard, das unter der Leitung des allseits beliebten Kommissars G. E. Morry stand. Beliebt natürlich nur bei all den Menschen, die für Recht und Ordnung eintraten. Die anderen aber fürchteten und haßten nichts mehr, als Kommissar Morry in ihrem Nacken zu wissen.
Schon mancher dieser lichtscheuen Gilde hatte es zu spüren bekommen. Und dabei nutzten ihnen die noch so gerissenen Tricks keinen Deut. Sie waren durch Kommissar Morry früher oder später immer dorthin gekommen, wo sie für die Straftaten hingehörten: hinter Gitter, wenn nicht gar an den Galgen.
Nun hatte wieder einmal ein Mensch eine Tat ausgeführt, die nach Sühne und Vergeltung schrie. Ein Mann — der Industrielle F. Howard Whitmen — war heimtückisch durch Beibringung von Gift beseitigt worden. Das stand bereits wenige Stunden nach der Überführung der Leiche in das Medizinische Institut von Scotland Yard, in dem Doc James Donald die Obduktion vorgenommen hatte, fest. Aus dem Bericht des derzeitigen Police-Docs, der als anerkannter Gerichtsmediziner galt, sprang fast aus jeder Zeile das Wort: ,Mord'.
Kommissar Morry, der hinter seinem mächtigen Schreibtisch saß, zog seine hohe Stirn in Falten und während er seinen vor ihm stehenden Konstabler, der ihm das Gutachten des Docs gebracht hatte, von der Seite her ansah, meinte er sarkastisch:
„Nun, Tabler, dann wollen wir mal wieder!"
Schon oft hatte Konstabler William Tabler diese Worte aus dem Munde seines Chefs vernommen. Sie waren gleichbedeutend mit einem Startschuß zur Klärung des Verbrechens. Doch nicht nur dies,- es war mehr noch die Kampfansage des Kommissars gegen einen Unmenschen, der sich skrupellos über alle Gesetze und menschlichen Gebote hinweggesetzt hatte. Das Leben eines Menschen war durch Gift vernichtet worden, das hatte Kommissar Morry aus dem vor ihm liegenden Bericht des Docs erkennen müssen. Jetzt war die Reihe an ihm; er und seine Boys hatten die Pflicht, denjenigen zu ermitteln, der diese Tat ausgeführt hatte.
Noch lag alles, was mit dem Mord an F. Howard Whitmen in Zusammenhang stand, im tiefsten Dunkel. Noch kannte Kommissar Morry nicht das Motiv dieser Tat. Und dennoch mußte ein Anfang gefunden werden. Mit diesem Bestreben verließ Kommissar Morry in Begleitung
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