Im Schatten des Galgens Kommiss
Ihren Auftrag auf später. Jetzt lassen Sie uns erst die feine Gesellschaft dort draußen sondieren. Vielleicht haben wir Glück und fischen sogleich den richtigen Mann heraus. Den Mann, der für uns wichtiger ist, als alle anderen Gauner und Spitzbuben zusammen." Mit diesen Worten begaben sich die beiden Yard-men auf den Gang.
Unverzüglich gab Kommissar Morry die Anordnung, die Männer von den Frauen zu trennen. Als dies geschehen war, durchsuchten die Boys um Kommissar Morry die Taschen der Männer. Und während die Besitzer der Vorgefundenen Wertgegenstände in ausbruchsicheren Zellen auf ihr Verhör warteten, begann Kommissar Morry mit dem ersten Ganoven. Noch hatte er nicht richtig mit dem Verhör dieses Burschen, es war einer von den Slumrobbern, die es zu Tausenden im Hafengebiet gab, begonnen, als wiederum Konstabler William Tabler eine Entdeckung gemacht hatte. Diesmal war es nur ein kleines Bild, welches er vor Kommissar Morry auf den Schreibtisch legte.
„All skies", fuhr der junge Kommissar beim Anblick des Bildes in die Höhe.
„Bei welchem Burschen haben Sie dieses Bild gefunden?" wollte er augenblicklich von seinem Konstabler wissen.
Ohne auf Kommissar Morrys Frage direkt zu antworten, schob Tabler statt dessen eine ausgeschriebene Asservatenkarte auf den Schreibtisch.
Mit zusammengezogenen Brauen las Kommissar Morry den auf der Karte verzeichneten Namen: „Mike Callinger, geb . . . las er nochmals und betrachtete wieder das Bild.
„Kein Zweifel, Tabler", meinte er dann zufrieden, „den Mann hier kennen wir! Er hat eine gewisse Ähnlichkeit mit diesem Jean Embroke. Zounds, holen Sie mir sofort diesen Mike Callinger her. Ich glaube, no — ich weiß schon jetzt, da hat die Police einen ganz besonderen Fisch im Netz zappeln..."
Und so war es auch. Der von seinem Mordzug zurückgekehrte Chef der Clique aus der Tench-Street, Mike Callinger, war den Fängen der Polizei nicht entgangen. Er wurde ebensogut wie sein Unterführer Roger Bates im Hinterzimmer der ,Merry Grotto' von den Police-Boys überrascht, wie alle im Schankraum anwesenden Gestalten auch.
Er hatte mit den unfreiwilligen Weg zum Headquarter antreten müssen. Nur mit dem Unterschied, daß die ganze Polizeiaktion sich einzig und allein vorerst gegen ihn richtete. Nun saß er wie eine Maus in der Falle und wußte noch nicht, welches Ende sein Leben nehmen würde. Zu allem Pech hatte er auch noch das Bild Jean Embrokes in seinen Taschen gehabt. Er verdammte sich ob seiner Leichtsinnigkeit, die ihm nun den Kragen kosten konnte. Doch gab er sich noch nicht restlos verloren. Auch dann noch nicht, als man ihn überraschend zu Kommissar Morry führte. ,Nur nicht weich werden! Noch kann man mir nicht nachweisen, daß ich in diese Affäre verwickelt bin', sagte er sich immer wieder — und dann stand er vor Kommissar Morry.
*
Während sich im Headquarter von Scotland Yard die Lage zuzuspitzen begann und Mike Callingers Widerstand von Kommissar Morry systematisch mehr und mehr gebrochen wurde — tat sich erneut auf ,Whitmen-Castle' in dieser Nacht etwas Geheimnisvolles. Es mochte wohl die vierte Morgenstunde sein, als sich ein Austin-Spryte mit abgeblendeten Lichtern dem Besitztum am Hyde Park vorsichtig näherte.
Am Steuer des Fahrzeuges saß mit verbissenen Zügen Jean Embroke. Auch er gönnte sich in dieser ereignisreichen Nacht keine Ruhe. Sogleich nach dem mißglückten zweiten Überfall auf dem Trafalger-Cars war er auf dem schnellsten Wege nach Stepney gefahren. Hier hatte er seit Tagen schon bei dem einstigen Gärtner von Whitmen-Castle bei Sam Truro in der Aylward-Street, ein Quartier gefunden. Doch nicht nur dies allein hatte Sam Truro dem abgedankten Steuermann der Susanne gewährt, sondern ihm auch seine Mitarbeit angeboten.
Bisher hatte Jean Embroke von diesem Anerbieten Sam Truros noch keinen Gebrauch gemacht. Er glaubte, was er zu unternehmen hatte, auch allein machen zu können — und einen anderen Menschen wollte er bei seinem gefährlichen Unternehmen nicht dabei haben. Wie gefährlich es war, sich auf die Seite Jean Embrokes zu stellen, hatte die jüngste Vergangenheit zur Genüge bewiesen. Er saß ja wahrhaftig auf einem Pulverfaß. An diesem Abend aber hatte Jean Embroke keinen anderen Weg gewußt, als die Hilfe Sam Truros in Anspruch zu nehmen.
So war es gekommen, daß er den Mann, der nicht gut auf ,Whitmen-Castle' zu sprechen war, um die Gefälligkeit bat, für ihn einen Wagen aufzutreiben. Sam Truro
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