Im Schatten des Klosters - Historischer Roman
mürben Kapuzenmantel. »Es sind eher die Schatten der Zukunft. Wenn die Gemeinschaft hier zerbricht, wohin soll dann ich? Ich will nicht ein zweites Mal meine Familie verlieren.«
»Ulrich«, sagte Fredegar, »glaubst du nicht, dass das wahr ist, was ich in der Kapelle gesagt habe?«
»Dass diese Aufgabe mir zukommt, um mich mit Sankt Albo auszusöhnen?«
»In Otterberg haben wir diesen heidnischen Glauben an Knochen und Talismane längst überwunden; das heißt aber nicht, dass ich nicht an die Macht der Heiligen glaube, uns zu leiten.«
»Und uns für ihre Zwecke zu gebrauchen?«
Fredegar fasste Ulrich scharf ins Auge. »Nur zu unserem eigenen Besten.«
»Ich habe diesen alten Knochenschädel gefürchtet, als ich ein Kind war. Ich habe ihn verachtet, als ich ein junger Novize wurde. Und seit ich erwachsen bin, habe ich ihn gehasst. Ich bin halbe Nächte vor ihm auf den Knien gelegen und habe um Frieden mit ihm und in meiner Seele gerungen. Und wenn ich hinausging, hatte ich das Gefühl, er würde mir höhnisch hinterhergrinsen.«
»Armer Bruder Ulrich.«
»Du kannst mir glauben, dass ich der Letzte bin, der sich den alten Knochen zurückwünscht. Aber da ist unsere Gemeinschaft …«
»Die Welt draußen ist nicht ganz so schlimm, wie ich sie dargestellt habe, Bruder Ulrich. Ich würde zwar nicht mehr hinauswollen, aber sieh mich an, wie lange ich sie überlebt habe.«
»Du warst ein Streiter, ein Kämpfer.«
»Ja, und deshalb war ich in mehr Gefahren verwickelt und habe schlimmere Dinge gesehen, als dir auf deiner Suche jemals begegnen werden. Ich habe ihr entsagt, der sündigen Welt jenseits unserer Mauern, aber glaub mir: Sie ist nicht die Hölle. Auch dort leben Menschen, Bruder!«
»Was meinst du damit?«
»Du wirst Hilfe brauchen, wenn du deine Aufgabe erfüllen willst. Remigius hat gesagt, dass du vor ein paar Jahren, bevor ich hierher kam, in der Stadt verloren gingst und …«
»Das hat man bis zur Unkenntlichkeit aufgebauscht!«, schnaubte Ulrich. »Ich war zu keinem Zeitpunkt in Gefahr!«
»Bruder Ulrich, Köln ist groß, und man kann dort verloren gehen. Such dir Helfer. Sankt Albo wird sie zu dir führen. Geh zu den Menschen, versichere dich ihrer Hilfe …«
»… und gerate dabei an den erstbesten Schurken.«
Fredegar lachte und legte Ulrich seine alte, knorrige Hand auf die Schulter. Ulrich umfasste sie kurz und war aufs Neue erstaunt, dass diese schwielige Klaue, mit der Fredegar die längste Zeit seines Lebens ein Schwert durch die Luft geschwungen hatte, anstatt den Segen zu erteilen … dass diese Hand, die Leben genommen und Blut vergossen hatte, ihn stets zu trösten vermochte. Er sah zu dem älteren Bruder auf und seufzte.
»Was willst du mit diesen Sachen?«, fragte Fredegar und deutete auf Ulrichs Schätze.
»Ich wollte eines davon einstecken, als Glücksbringer …« Ulrich räusperte sich.
»Als Symbol?«
»Ich wusste, dass du das sagst. Vermutlich meinst du, ich sollte lieber auf einen Heiligen vertrauen.«
Fredegar lachte und drehte die Handflächen nach oben. »Vertrau deinem Herzen und deinem Verstand. Die zwei sind so gut wie jedes heilige Symbol.«
Kapitel Kapitel 6.
Z wei.«
»Was? Jetzt habe ich doch tatsächlich zwei verstanden.«
Unendlich gelangweilt: »Das liegt daran, dass ich zwei gesagt habe.«
»Haha! Ein guter Witz!«
Der Händler starrte den Kerl an, der vor seinem Karren stand. Ein Hüne, der sich bücken musste, wenn er unter einer Tür durch wollte, so viel war klar. Sein Kopf war kahl geschoren: die Läuse. Wenn man ihn nur ansah, begann es unter der eigenen Kappe zu jucken. Die untere Hälfte seines Gesichts rahmte ein dünner blonder Bart von der Art, wie die Pilgerfahrer ihn getragen hatten, die mit dem Kaiser ins Heilige Land gezogen waren, um dort mit den Heiden aufzuräumen. Nun, dem Händler war schon klar gewesen, dass der da vor ihm dazugehört hatte. Seine Gesichtshaut besaß jene Bräune, wie man sie bekommt, wenn man länger als nur ein paar Wochen der Sonne ausgesetzt ist. Aber hauptsächlich verriet ihn seine Kleidung: der Waffenrock, dessen Farben einmal bunt und dessen Säume einmal nicht rettungslos ausgefranst gewesen waren; das Stepphemd, dessen Ärmel aus den Schultern des Waffenrocks ragten und das übersät war mit den Öl- und Fettflecken des Kettenhemdes, das man normalerweise über diesem Stepphemd trug; der Schwertgürtel, der in einem unordentlichen V über seiner linken Hüfte hing und an dem kein Schwert
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