Im Schatten des Klosters - Historischer Roman
daherreden! Es war zwar eigentlich unter seiner Würde, sich einem Pfaffen als Leibwächter anzudienen – noch dazu dem, dessentwegen der Wirt ihn vor die Tür gesetzt hatte, ein Umstand, den man geschickt in die Verhandlungen mit einfließen lassen konnte, wenn es darum ging, auf die Tränendrüse zu drücken – andererseits sagte die Art und Weise, wie der Wirt den Mönch hofiert hatte und mit welchem Selbstvertrauen der Mann hier in der Schänke saß, möglicherweise etwas über dessen Bedeutung aus. Könige und Bischöfe schickten zuweilen Mönche als ihre Legaten aus, oder Legaten verkleideten sich als Mönche, um einfacher reisen zu können. Einen solchen Mann zu schützen, war nicht ehrenrührig.
Nun, selbst wenn es so gewesen wäre – was war die Alternative? Jörg hatte ein paar Worte mit dem Leibwächter des überheblichen Reliquienhändlers getauscht und sofort erkannt, dass er hier einen Bruder im Schicksal vor sich hatte. Man konnte also noch tiefer sinken.
Und falls Jörg noch Zweifel gehabt haben sollte, ob er in Gestalt des Mönchs und seines kleinen Begleiters den Strohhalm sehen sollte, nach dem er greifen konnte, enthob sein Magen ihn weiteren Nachdenkens. Er meldete sich mit einem so lauten Knurren, dass selbst die Zecher an den Nachbartischen erschrocken auffuhren. Jörg errötete und versteckte die Hände unter der Tischplatte.
Der Mönch zuckte erneut zusammen und funkelte den kleinen Mann an. »Warum greifst du nicht zu, mein Sohn?«, stöhnte er dann.
»Meine Herr ist bereits gesättigt«, sagte der kleine Mann.
Jörg betrachtete die sauberen Hände und Gesicht des Mönchs. »Ihr kommt mit kleinen Portionen zurecht, Hochwürden.«
Der kleine Mann rieb sich mit dem Ärmel über das fetttriefende Kinn und wischte sich die Hände an seinen Beinlingen ab. Dann musterte er Jörg von oben bis unten. Schließlich grinste er mit vollen Wangen, und Jörg fragte sich, ob er das Funkeln in den schwarzen Augen des Burschen wirklich als spöttisch-anerkennend deuten sollte. Es war die Frage, vor wem man bei diesem Duo mehr auf der Hut sein musste. Jörg griff nach einer Hühnchenkeule und legte den Knochen mit einem einzigen Bissen blank.
»Herr, segne diese Gabe«, nuschelte er dann und bemühte sich um einen treuherzigen Blick.
Der Mönch machte einen erneuten Satz und rückte dann ein Stück beiseite. Einer seiner Mundwinkel war schmerzlich verzogen.
»Was kann ich für dich tun, mein Sohn?«, fragte er. »Außer, dich an meinem Tisch zu speisen?«
Jörg legte den abgenagten Knochen sorgsam beiseite und rieb die Hände ineinander, um das Fett wenigstens zu verteilen. Obwohl sein Magen sich nach diesem Häppchen noch ärger meldete als zuvor, ignorierte er ihn. Er hatte den Eindruck, dass es an der Zeit war, ein bisschen ritterliche Würde zu zeigen.
»Ich bin Jörg von Ahaus«, sagte er, »dritter Sohn von Hadamar, freier Ritter von Ahaus, und seinem Weib Agnes, niemandem zu Lehen als dem Kaiser, soeben zurückgekehrt von der Pilgerfahrt nach Jerusalem und …«
»Dritte Sohn, ecco«, sagte der kleine Kerl mit Betonung, als wüsste er, was das bedeutete. Jörg starrte ihn an, aus dem Konzept gebracht. Der Kleine zwinkerte ihm zu.
»Du warst auf der Pilgerfahrt mit Kaiser Rotbart?«, fragte der Mönch.
Jörg neigte den Kopf. »Gott, der ihn viel zu früh abberief, möge seiner großen Seele gnädig sein.«
»Reden wir von die große Seele, die Milano und die andere Städte verbrannt hat?«, brummte der Kleine.
»Stammst du von da?«, fragte Jörg. »Ich war damals noch gar nicht auf der Welt, das kann ich dir versichern.«
»Ich auch nicht«, sagte der Bursche und grinste erneut. »Ich bin Rinaldo.«
»Wo sind deine Gefährten? Wo ist dein Knappe?«, fragte der Mönch.
»Die Gefährten, die ich hatte, sind im Heiligen Land begraben«, erklärte Jörg. »Mein Knappe hat die Reise dorthin nicht überlebt.« Er sah dem Mönch gerade ins Gesicht. Er musste ihm ja nicht auf die Nase binden, dass der junge Pabo vor Heimweh geflennt hatte, als der Heerzug noch keine drei Tage tief im Königreich Ungarn gewesen war … und dass er den Burschen mit einer Gruppe Treidelschiffer über die Donau zurück in die Heimat geschickt hatte, weniger aus Mitgefühl, sondern weil sein eigenes Herz beim Anblick des melancholischen Kerls nie zur Ruhe gekommen wäre. Nicht, dass Jörg sich in die Heimat zurückgesehnt hätte, nur nach einer bestimmten Frau dort. In den letzten Monaten hatte er sich
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