Im Schatten des Klosters - Historischer Roman
mit dem Hühnerbein durch die Luft.
»Ich meine ja nur«, sagte er. »Ich muss schon wissen, um was es geht, wenn ich dich vor Gefahren beschützen soll.«
Kapitel 15.
D ie Gefahr ist groß«, sagte Barbara.
Ihr Spiegelbild, das von der Oberfläche des schwarzen Wischwassers im Zuber zu ihr emporstarrte, erwiderte nichts. Barbara atmete ein.
»Pfeif drauf«, sagte sie dann und zerstörte das Spiegelbild mit einem raschen Schlenker der Hand. Sie sah sich in der morgendlich ruhigen, leeren Badestube um. Der Boden war stumpf vor Nässe und makellos sauber. Geschmeidig stand Barbara auf, obwohl sie die letzte Stunde auf den Knien um die Badezuber rutschend verbracht hatte. »Pfeif drauf«, wiederholte sie leise.
Sie ließ den Lappen in den Wischzuber fallen, trug beides vor die Tür und schüttete das eiskalte Schmutzwasser in die Kotrinne. Dann wrang sie den Lappen aus und legte ihn über die Öffnung des Zubers, trug beides wieder zurück an ihren Platz hinter der Tragsäule und sah sich noch einmal um. Der Geruch des nassen Holzbodens, vermischt mit dem von Kräutern und feuchtem Leinen, war angenehm, fast heimelig, aber auch nur fast. Barbara merkte, dass sie Abschied nahm. Ihr Herz begann zu klopfen. Von oben hörte sie die rhythmischen Geräusche, mit denen Walter und Hildegard den frühen Morgen begrüßten.
»Gott behüte euch«, sagte sie und schlüpfte hinaus, bevor die Tränen sie überwältigten.
Draußen an der frischen Luft war es besser. Selbst der Stadtgestank war um diese Tageszeit erträglich. Die Schatten von der Mauer waren lang und tiefgrau und reichten über die gesamte Gasse bis zu der Gebäudereihe herüber, von denen eines Walters Badehaus war. Barbara verschränkte die Arme, doch das Frösteln war beinahe angenehm – es ließ ihr Herz langsamer schlagen. Sie hörte das Klopfen der Wassermühlen im Rhein aus der einen Richtung und das helle Klingen eines Schmiedehammers aus der anderen. Von der Mauerkrone kamen ein Husten und Ausspucken, eine gemurmelte Begrüßung und ein kurzes Lachen: Die Mauerwache löste einander ab. Es war Tradition, dass der Ablösende dem Abzulösenden einen heißen Trank mitbrachte; Barbara lauschte auf das Schlürfen und das kurze, vertrauliche Gespräch der beiden Männer, ohne ein Wort verstehen zu können, und sie wünschte sich für einen Moment nichts anderes, als zu ihnen und ihrer Gemeinschaft zu gehören. Doch Barbara gehörte zu ihrem Ehemann und musste den Schwur einhalten, Gregors Tod zu sühnen. Wahrscheinlich würden sie bald im Jenseits vereint sein.
Die Schritte auf der Mauerkrone gingen auseinander.
Barbara zog das Tuch um Kopf und Schultern, schniefte und machte sich auf den Weg, Bruder Antonius zu ermorden.
Gestern Abend hatte einer der verschlagenen Typen vor dem Badehaus gestanden, einer jener Burschen, die zu Ivers weitreichenden Verbindungen in die verrufenen Viertel der Stadt gehörten.
»Iver lässt dir ausrichten, der Kerl is’ wieder da«, hatte der Mann erklärt. »Du-weißt-schon-wer. Man hat ihn gesehen. Iver lässt dir außerdem sagen, dass du ’ne dumme Kuh bist.«
»Kann Iver mir auch sagen, wo ich den Mann treffen kann?«
»Wahrscheinlich vor oder nach der Prim am Dom. Diese Burschen gehen ja früh beten.«
»Ich werde dort sein.«
Der Bursche hatte sie von oben bis unten gemustert. »Ich hab ’n Viertelpfennig«, hatte er dann verkündet. »Du siehst gar nich’ so übel aus. Was machste für ’n Viertelpfennig?«
»Was ich dir gebe, kannst du auch kostenlos haben. Eine Tracht Prügel mit dem Besenstiel, bis entweder der Stiel zerbricht oder deine hässliche Rübe.«
»Heiliger Gereon, du bist wirklich ’ne dumme Kuh.«
»Hau ab«, hatte Barbara gesagt und den Besen gehoben. Mit den Gedanken war sie schon ganz woanders gewesen.
Am Eingangsportal des Doms drängten die Menschen sich schon zu dieser frühen Stunde. Wahrscheinlich würde irgendwann einmal in der nächsten oder übernächsten Generation, sollte der Pilgerstrom zu den Gebeinen der Heiligen Drei Könige nicht abreißen, jemand einen Neubau planen. Ob Erzbischof Rainald daran gedacht hatte, als er die Reliquien hierher brachte? Nun, das war nicht Barbaras Problem; nichts, was weiter in der Zukunft lag als die nächsten paar Stunden, ging sie noch etwas an. Sie umklammerte das Heft des Messers, das sie unter dem Tuch versteckt hielt. Die Klinge war so scharf, dass sie sich schon in den Finger geschnitten hatte, als sie in ihrer Nervosität den Griff
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