Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Im Schatten des Klosters - Historischer Roman

Im Schatten des Klosters - Historischer Roman

Titel: Im Schatten des Klosters - Historischer Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
Vom Netzwerk:
lagen, wenn sie das Treiben beobachteten? Das eifernde Gewusel der Pilger … und die schwarzen Absichten Barbaras?
    Einen Menschen mit einem einzigen Messerstreich durch die Kehle zu ermorden … war das überhaupt möglich? Und warum stellte sie sich diese Frage erst jetzt? Barbara blinzelte. Und wenn es nicht möglich war? Was würde dann geschehen?
    Ihre Beine waren schwer. Jemand rempelte sie an, ohne dass sie ins Schwanken gekommen wäre. Der Messergriff war schlüpfrig von ihrem Schweiß.
    Nach der Tat würde man sie ergreifen, so viel war sicher. Niemals würde sie aus der Kirche entkommen. Und wenn sie das Ungeheuer nur kratzte? Dann würde sie in ein paar Wochen auf dem Weg zum Rhein darüber nachdenken können, wo er wohl auf sie wartete, während die Henkersknechte mit glühenden Zangen in ihrem Fleisch wühlten; und wenn man ihr Arme und Füße zusammenband und sie vom Floß des Henkers ins Wasser stieß, würde ihr letzter Anblick auf der Welt dieser Gesichtsausschnitt unter der Kapuze sein, das vorspringende Kinn und der höhnisch gekräuselte Mund. Und womit würde sie dann Gregor gegenübertreten, wenn der Herr den Jüngsten Tag ausrief?
    Barbara merkte, dass sie einen Schritt zurückgetreten war. Sie wurde in den Rücken gestoßen. Jemand brummte eine Unhöflichkeit. Ihre Hand, die das Heft des Messers umschloss, war so schwach, dass die Waffe wohl zu Boden gefallen wäre, hätte der Stoff des Tuches sie nicht gehalten.
    Was war zu tun?
    Eine Gelegenheit wie diese würde niemals wieder kommen …
    Aber wenn es in Wahrheit gar keine Gelegenheit war? Wenn sie nichts anderes erreichte, als sich selbst dem Henker auszuliefern, während sie dem Ungeheuer bloß einen Kratzer mit der Klinge zufügte?
    Kaspar, Melchior und Balthasar, helft mir …
    … einen Mord zu begehen?
    Im heiligen Dom zu Sankt Peter und Sankt Maria?
    O Gott, was hatte sie geplant? Blut vor dem Reliquienschrein vergießen! Im Angesicht Gottes und seines Sohnes Jesus Christus, der für die Sünden der Welt am Kreuz gestorben war!
    »Pass doch auf, du meine Güte!«, zischte jemand ihr ins Ohr. Barbara bemerkte, dass sie noch ein paar Schritte zurückgewichen war. Das Brausen in ihren Ohren war Schwindel erregend.
    »Entschuldigung«, flüsterte sie mit tauben Lippen. Sie warf sich herum und wühlte sich durch den Andrang der Menschen nach draußen, durch wütende Aufschreie, Flüche und derbe Rippenstöße. Als sie wieder auf dem Kirchenvorplatz stand und die kühle Morgenluft spürte, begann sie lautlos zu weinen.
    Als er an ihr vorbeiging, trennten sie keine fünf Schritte. Der Kirchplatz war mittlerweile menschenleer, sah man von den üblichen Bettlern am Rand ab. Barbara stand in der Mitte des Platzes, gefangen in einer Erstarrung, die aus Verzweiflung geboren war und die sie ob ihrer seelischen und körperlichen Erschöpfung nie mehr überwinden zu können glaubte. Das Ungeheuer hielt den Kopf in der Kapuze gesenkt und die Hände in den Ärmeln der Kutte versteckt; er ging so langsam, als würde er durch den Kreuzgang eines Klosters gehen und seine Zeit in stiller Kontemplation verbringen. Ein Duft von Weihrauch wehte hinter ihm her und drang durch die Glocke, die sich um Barbara gelegt hatte. Im Dom hatte er wie ein Behemoth gewirkt; hier, im Freien, war er immer noch groß und wuchtig, aber das Sonnenlicht nahm etwas von der Düsternis, in die er gehüllt war. Letztendlich war er doch nur ein Mensch.
    Den ersten Schritt tat Barbara beinahe unbewusst. Die weiteren setzte sie schon mit Bedacht. Ihr Hirn brauchte noch einige Augenblicke, um aus der Erstarrung zu erwachen. Barbara mochte nicht glauben, dass die Heiligen Drei Könige ihr Flehen erhört und geantwortet hatten, indem sie das Ungeheuer aus der Kirche und geradewegs in ihre Arme schickten; kein Heiliger Gottes würde Mordabsichten unterstützen. Barbara nahm die Wendung des Schicksals dennoch an. Als der große Mann in der dunklen Kutte den Rand des Platzes erreicht hatte, folgte sie ihm in gleichbleibendem Abstand. Seine Sandalen schlappten über den Boden; Barbara in ihren dünnen Tuchschuhen ging völlig lautlos. Wieder legte sie die Hand um den Messergriff und lockerte das Tuch um ihre Schultern. Ein plötzlicher Gedanke überraschte sie: Geh nur dahin in der Sonne, du Scheusal, und genieße sie; du wirst sie heute zum letzten Mal sehen. Sie wischte sich die Tränen ab und versuchte zu lächeln.

Kapitel 16.
    U lrich lächelte über Rinaldos eifrige Handbewegungen,

Weitere Kostenlose Bücher