Im Schatten des Klosters - Historischer Roman
prustete los.
»O Mann, ich platze gleich«, stöhnte Jörg.
»Was hat Rinaldo getan?«, rief Ulrich. »Was hast du getan?«
»Ich sagte zu die Mann: ›Wir haben nicht so lange Zeit zu warten, bis du stirbst.‹«
»… und dann sagte Rinaldo, hier, Jörg, gib ihm sein Geld und stich ihn ab, damit wir ihn auskochen können.« Jörgs Worte gingen in seinem Lachen unter. Er trommelte mit den Füßen auf den Boden, das die ganze Kammer erzitterte.
»Und dann?«
»Dann haben wir ihn rausgetragen«, sagte Rinaldo, der sich die Tränen abwischte.
»Was? Ihr habt ihn doch nicht etwa …?«
»Nein, wo denkst du hin? Er wandte sich so hastig zur Flucht, dass er auf seinen Bart trat und mit die Schädel gegen eine Bank knallte. Er hatte eine Beule so groß wie eine Hühnerei, als wir ihn vor die Schänke auf die Gasse legten. Wahrscheinlich ist er immer noch nicht wieder zu Bewusstsein gekommen.«
»Jungejunge«, winselte Jörg.
Ulrichs Blicke wanderten von ihm zu Rinaldo und zurück. Jörgs Gesicht war so rot, dass seine Zähne förmlich daraus hervorleuchteten; Rinaldo wischte sich die letzten Tränen aus den Wimpern. Eine Woge der Sympathie für seine Mitstreiter überkam Ulrich, wie er sie zuletzt für Bruder Fredegar empfunden hatte, als dieser sich kurz nach seiner Ankunft im Kloster im Archiv angemeldet und Ulrichs Schätze hatte zeigen lassen; Ulrich konnte sich nicht erinnern, dass er zuvor sein Herz dermaßen für einen anderen Menschen hatte aufgehen lassen. Er schüttelte den Kopf und lächelte, und für eine Weile entstand ein Schweigen zwischen den drei Männern, das nicht peinlich war, sondern voller Zuneigung, und das Ulrich die Zuversicht gab, seine Aufgabe vielleicht doch noch zu erfüllen.
»Bevor ich zu euch stieß, habe ich eine Reliquie verbrannt«, sagte Jörg plötzlich.
Rinaldo begann zu kichern. »Sag nichts, lass mich raten … eine Klumpen Tran von die Walfisch, die Jonas verschluckt hatte!« Rinaldo gackerte und schlug sich auf die Schenkel.
Jörg lächelte. »Nein«, sagte er und sah Rinaldo so lange an, bis dessen Lachen verstummte. Ulrich starrte von einem zum anderen. Jörgs Blicke lösten sich von Rinaldo und wanderten zu Ulrich. Der sog den Atem ein.
»Es war eine Haarlocke«, sagte Jörg und sah Ulrich unverwandt in die Augen. »Sie stammte von der Frau, für die ich mein Leben gegeben hätte, so sehr liebte ich sie.«
Rinaldo blinzelte und atmete ein paar Mal tief ein und aus. Er räusperte sich.
»Wir waren zusammen aufgewachsen«, sagte Jörg. »Mein Vater hatte mich als Pagen beim Grafen von Zulling untergebracht. Die von Zulling und mein Geschlecht sind seit Generationen Verbündete. Ich bin der dritte Sohn meines Vaters, aber der Graf schätzte mich, und statt mich zu einem seiner Einschildritter zu senden, gab er mich zu einem Mann namens Otto, Truchsess des Grafen und Verwalter seines Sitzes Ellenbrechtskirchen, nur ein paar Meilen von Zulling entfernt. So war ich öfter auf Burg Zulling als dort, wo mein Dienst mich hingesandt hatte.«
»Wie hieß das Mädchen?«, fragte Ulrich.
Jörg zuckte mit den Schultern. »Irmgard. Die älteste Tochter der Grafen von Zulling heißt immer Irmgard.«
»Was ist geschehen?«
»Was immer geschieht«, sagte Jörg und ließ sich zurücksinken. Ein paar Augenblicke lang starrte er an die Zimmerdecke und schien mit sich zu kämpfen; dann beschloss er, weiter zu erzählen.
»Wir waren gleich alt. Wenn ich im Hof Bogenschießen, Ringen und den Faustkampf lernte oder Strohpuppen köpfte, saß sie oben in der Kemenate und lernte Spinnen, Sticken und was die Weiber sonst noch so an geheimen Dingen lernen. Aber wenn es um’s Lesen und Schreiben ging oder darum, die französische Sprache zu lernen, oder um das Musizieren, dann lernten wir gemeinsam. Wir waren ja die Einzigen, die es dafür gab, denn Irmgards ältere Brüder waren alle bereits als Pagen oder Knappen auf anderen Höfen, und ihre anderen Geschwister waren um vieles jünger, und ich war ohnehin allein.«
»Du kannst musizieren?«, fragte Ulrich im gleichen Atemzug mit Rinaldo, der ebenso ungläubig fragte: »Du kannst lesen und schreiben?«
Jörg grinste. Er hob seine Pranken in die Höhe und betrachtete sie. »Möchte man nicht glauben, wenn man sich meine Tatzen ansieht, was?«
»So war das nicht gemeint.«
»Keine Sorge. Tatsächlich habe ich das Laute spielen aufgegeben, und was Lesen und Schreiben angeht, bräuchte ich wohl wieder ein wenig Übung. Verschüttete
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