Im Schatten des Klosters - Historischer Roman
Rinaldo in die Kammer. Der kleine Italiener wirkte aufgekratzt und rastlos, während Jörg sich nur auf seinem löchrigen Mantel auf dem Boden ausstreckte und »Jungejunge, was für ein Haufen Verrückter!« brummte. Rinaldo gab Ulrichs Blick lange zurück. Schließlich zuckte er mit den Schultern.
»Was für ein Bockmist«, sagte Ulrich. »Einen zweiten Tag stehe ich diese Gottlosigkeit nicht durch. Selbst dem abgefeimtesten Heiden würde diese Ansammlung abergläubischer Verbrecher den Magen umdrehen.«
»Reg dich nicht auf«, sagte Rinaldo.
»Du siehst ihnen in die Augen und erkennst genau, sie betrügen dich – und sie wissen, dass sie dich betrügen. Sie halten dir ein altes Kuheuter hin und behaupten, es handle sich um eine mumifizierte Brust; sie zeigen dir einen Holzsplitter und sagen, er stamme vom Kreuz Christi, und du siehst genau die Farbreste von den Türflügeln eines Stadttores, von dem der Splitter heruntergefallen ist. Sie legen dir ein Bündel Haare hin, das so frisch abgeschnitten ist, dass die Läuse noch darin herumwimmeln, und sagen, es sei tausend Jahre alt und stamme vom Haupt Johannes des Täufers …«
»Nimm’s nicht so schwer.«
»… und dann trifft der eine dieser Unseligen den anderen vor der Tür zu deiner Kammer, und du hörst, wie sie sich ihre plumpen Fälschungen gegenseitig abkaufen, als wären sie überzeugt, dass der jeweils andere eine wirkliche Reliquie anzubieten habe statt irgendeines lächerlichen Gelumps aus der nächsten Gosse. Haben diese Kreaturen Dung im Hirn?«
Ulrich schüttelte den Kopf und sah von Rinaldo zu Jörg und zurück. Aus dem Augenwinkel bemerkte er, wie sich ein breites Grinsen auf Jörgs Gesicht stahl. »Jungejunge, was für ein Haufen Schwachköpfe«, sagte der Ritter.
Ulrich stellte plötzlich fest, dass sein Zorn irgendwann zwischen Jörgs erster Bemerkung und dieser verraucht war. Er konnte nicht anders, als Jörgs Grinsen nachzumachen. Rinaldo hob erstaunt die Augenbrauen und verzog dann den Mund.
»Wir müssen die Sache anders angehen«, sagte Rinaldo langsam. »Ich glaube, ich sollte noch mal …«
»Der Bursche mit dem Stroh aus der Matratze, auf der die Jungfrau Maria den Erlöser zur Welt gebracht haben soll …«, sagte Jörg und lachte los.
»Oder der mit dem Wetzstein, der das Schwert geschliffen haben soll, mit dem der heilige Martin seinen Mantel auseinander schnitt …«, prustete Ulrich.
»Der Beste war dieser Halunke mit dem Bart bis zu den Knien!«, rief Jörg und hielt sich die Seiten vor Lachen.
Ulrich runzelte die Stirn. »Wer war das denn?«
»Den hast du nicht gesehen, den hat Rinaldo aussortiert«, brüllte Jörg, der sich die Lachtränen aus den Augen wischte. »Hahahaaa!«
»Ja«, sagte Rinaldo. »Sehr lustig. Also, ich glaube, ich muss noch ein letztes Mal …«
»Was war mit dem Kerl?«, fragte Ulrich.
»Der hat … hihihi … der hat …«
Rinaldo verdrehte die Augen. »Hör zu, Bruder Ulrico, es ist unbedingt nötig, dass ich …«
»… der hat …«
»Nun erzähle schon«, stöhnte Ulrich und krümmte sich vor Lachen auf dem Bett.
»Er hat uns seine eigene Gebeine angeboten«, sagte Rinaldo und verdrehte ungeduldig die Augen, konnte aber auch nicht verhindern, dass ein Lächeln über sein Gesicht huschte.
Ulrichs Lachen verstummte. Er starrte Rinaldo an, den er durch den Schleier aus Tränen nur unscharf sah. Jörg auf seinem Lager keuchte und sah zu Ulrich herüber, bereit, erneut loszugackern. »Was hat er?«, sagte Ulrich.
»Er sagte«, platzte Jörg heraus, »er führt ein so gottgefälliges Leben, dass er nach seinem Tod sofort zum Heiligen wird. Da könnten wir ihm das Geld für seine Knochen doch gleich geben, und er wird zusehen, dass man uns seinen Leichnam überstellt, wenn er gestorben ist.« Jörg begann von neuem zu lachen und brach auf seinem Lager zusammen. »Jungejunge«, keuchte er, als er wieder Luft bekam, »was für ein Haufen Arschlöcher.«
Ulrich sah Rinaldo sprachlos an. Offenbar war sein Gesichtsausdruck so komisch, dass Rinaldo seine unübliche Anspannung aufgab und ebenfalls grinste.
»Aber das Schönste kommt noch«, rief Jörg und fiel dem nächsten Lachanfall zum Opfer. »Rinaldo … hahaha.«
Rinaldo seufzte, doch Jörgs Heiterkeit hatte mittlerweile den Raum erfüllt und verschonte weder ihn noch Ulrich, der versuchte, über die sagenhafte Anmaßung des Anbieters nicht zu lachen und stattdessen laut herausgrunzte und sich die Hand vor den Mund hielt. Rinaldo
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