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Im Schatten des Klosters - Historischer Roman

Im Schatten des Klosters - Historischer Roman

Titel: Im Schatten des Klosters - Historischer Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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sie mit die Schädel rüber …«
    »Und wenn es nicht gleich der Erste ist, der ihn hat?«, hatte Ulrich zurückgeflüstert.
    »Es wird auf keine Fall die Erste sein.« Rinaldo hatte mit den Schultern gezuckt. »Wenn wir Glück haben, kommt die Bursche morgen oder übermorgen hierher. Aber wir können nicht riskieren, die Kerle hier einfach in Bausch und Bogen wegzuschicken, das macht uns unglaubwürdig. Da musst du durch.«
    So saß Ulrich auf der maroden Truhe in der Kammer und »verhandelte« mit denen, die Rinaldos Auswahl bestanden hatten, hoffend und gleichzeitig fürchtend, der jeweilige Gesprächspartner möge sich als der Dieb von Sankt Albos Schädel zu erkennen geben. In den Wartepausen rang er die Hände wegen all der Schlechtigkeit, die hier vor ihm aufspazierte. Er bezweifelte, dass der Herr Jesus Christus jemals das wilde Verlangen verspürt hatte, seine Fäuste in ein verschlagenes Gesicht zu pflanzen, das sich in seinem Blickfeld befand; doch es ließ sich nicht leugnen, dass Ulrich dieser Versuchung immer mehr zu erliegen drohte. Der Erlöser hatte sich andauernd mit solchem Abschaum umgeben, und nicht nur, dass er Mitleid und Verständnis gezeigt hatte – die Unseligen hatten ihn auch noch geläutert verlassen. Aus Ulrichs Reichweite verschwanden sie bloß mit langen Gesichtern.
    Die Tür öffnete sich, und Jörgs hünenhafte Gestalt erschien im Türrahmen. Er bückte sich, um hereinzuspähen. »Schon was dabei gewesen?«, fragte er.
    Ulrich winkte müde ab.
    »Rinaldo schickt mich«, sagte Jörg. »Er hat einen Kerl drunten, der über den Verbleib der Barthaare des Josef von Arimathäa Bescheid weiß.«
    Ulrich starrte den Ritter an. Jörgs Gesicht war zu entnehmen, dass er das Angebot für interessant hielt. »Sag ihm, die Barthaare von Josef polstern das Kissen, auf dem der Heilige Gral steht«, brummte er.
    Jörg riss die Augen auf. »Das wusste ich ja noch gar nicht«, murmelte er und ging wieder hinaus. Ulrich verbarg das Gesicht in den Händen. Nach wenigen Augenblicken hörte er Jörgs schwere Schritte wieder zurückkommen.
    »Den Kerl mit den Titten der heiligen Magdalena hat Rinaldo bereits weggeschickt«, meldete er. »Jetzt verhandelt er mit einem, der sagt, er könne das … äh, Jungfernhäutchen der heiligen Ursula besorgen.« Jörg schaffte es, zart zu erröten.
    »Nimm den einen und erschlag damit den anderen«, flüsterte Ulrich.
    Jörg schien schockiert. »was?«
    »War nur Spaß«, sagte Ulrich und zeigte Jörg ein Lächeln mit zu vielen Zähnen. Jörg kniff ein Auge zu und deutete mit einem Finger auf Ulrich. Er grinste. »Erwischt«, sagte er und machte die Tür wieder hinter sich zu.
    In den Stunden bis zum Abend wurde Ulrich noch Folgendes angeboten:
    Die Fingerknochen von mindestens sechsundvierzig Aposteln.
    Eine Sandale, die der Herr Jesus Christus ausgezogen hatte, bevor er über den See Genezareth gewandelt war.
    Federn des Hahnes, der dreimal gekräht hatte, als der Apostel Petrus den Herrn verleugnete.
    Ein Splitter vom Stab des heiligen Christophorus.
    Der Fuß des Kelches, in dem das Christuskind die Myrrhe von einem der drei weisen Könige erhalten hatte.
    Das Oberteil des Kästchens, in dem das Christuskind die Myrrhe erhalten hatte.
    Der leinene Beutel, in dem die Myrrhe gewesen war, die das Christuskind erhalten hatte.
    Ein paar steinharte Klümpchen in einer Schale, die Ulrich an eingetrocknete Schnecken erinnerten und die die Überreste der Myrrhe darstellten, die dem Christuskind geschenkt worden war, komplett mit dem Schälchen, in dem die drei Könige sie überreicht hatten.
    Der Siegelring von Pontius Pilatus (»Pilatus hatte bestimmt kein Siegel, in das ein Kreuz geschnitten war«, sagte Ulrich, und Jörg, der bereits Interesse an dem Kleinod bekundet hatte, machte sich in der Schankstube auf die Suche nach dem Anbieter, um ihm den Kopf abzureißen).
    Die abgeschnittene Vorhaut des Jesuskindes, weitere verdorrte Brüste diverser Heiliger, das Glied des heiligen Emmeran und die Schamhaare der heiligen Radegunde; all das von einem einzigen Anbieter, dessen Sortiment höchst spezialisiert zu sein schien und das Ulrich zu einem cholerischen Anfall verhalf.
    Und zuletzt: der wahre Leichnam des Evangelisten Markus (nicht die Jammergestalt, die die Venezianer irrtümlich in ihrer Basilika verehrten), im Voraus zu bezahlen wegen der großen Gefahren im Zusammenhang mit der Beschaffung und lieferbar in etwa drei Jahren.
    Nach dem Vesperläuten kamen Jörg und

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