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Im Schatten des Klosters - Historischer Roman

Im Schatten des Klosters - Historischer Roman

Titel: Im Schatten des Klosters - Historischer Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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habe keinen verdammten Sankt Albo!«, zischte sie. »Alles, was ich habe, ist dieses Messer und die Erinnerung daran, wie du Gregor umgebracht hast. Erinnerst du dich auch?«
    »Ich habe niemanden …« Das Ungeheuer ächzte. Barbara zwang sich, ein bisschen weniger Druck auf die Klinge auszuüben. Er sollte ihr noch zuhören können. Sie sah den Widerschein eines Lichtschimmers in seinen Augen. Sie musste sich beeilen; die beiden Totschläger würden bald hereinkommen. Dennoch würde sie ihn genau so sterben lassen, wie sie es sich vorgenommen hatte und ihm ins Gesicht sehen, wenn sie ihm sagte, warum er ausgelöscht wurde … sie machte einen Schritt nach vorn, er wich zurück, und sie drängte ihn bis zu einer der Lichtinseln an der Mauer.
    »Nimm die Kapuze ab«, sagte sie.
    Bruder Antonius regte sich nicht. Barbara verstärkte den Druck auf die Klinge, hielt sie so kurz, dass sie die Haut an seinem Hals berührte, und zuckte vor Ekel zurück. Die Klinge war warm und glitschig, ob von seinem Blut oder von ihrem Schweiß, war im Dunkel seiner Kapuze nicht zu erkennen. Langsam hob er die Hände, um seinen Kopf zu entblößen.
    »Ich verstehe nicht …«, sagte er.
    Ein flächiges Gesicht, teigfarben im Licht. Eine breite Stirn, buschige Brauen, tiefliegende Augen … wuchtige Kieferknochen … ein gutes Gesicht … eine täuschende Larve über einer Seele voller Schwärze. Der Mund war zusammengekniffen und zitterte leicht. Sie starrte auf das Grübchen in seinem Kinn. Irgendetwas rann klebrig durch ihre Finger, die um den Messergriff verkrampft waren.
    »Du hast zwei Fehler gemacht«, sagte sie. »Der eine war, mich damals nicht umbringen zu lassen. Der zweite war, allein hier reinzukommen.«
    »Der zweite Fehler lässt sich rückgängig machen«, klang plötzlich eine neue Stimme hinter Barbara auf. Sie spürte die Eiseskälte einer Schwertklinge am Hals. Die Berührung war wie ein Grabeshauch. Ihr Innerstes wurde taub. Sie hatte zu lange gewartet … warum hatte sie nicht einfach … sie hätte es ihm auch ins Gesicht sagen können, während das Blut aus seiner aufgeschnittenen Kehle pumpte … wenn sie ihn doch sofort ermordet hätte … wenn sie ihn doch sofort hätte ermorden können …
    »Gut, dass ich gleich losgelaufen bin.« Der Mann hinter Barbara stieß die Luft aus. Er war kurzatmig, als wäre er eine lange Strecke gerannt. »Jungejunge, die Verrückten nehmen hier gar kein Ende.«
    »Ich halte ihm ein Messer an die Kehle«, hörte Barbara sich sagen. »So schnell bist du nicht, dass du ihn retten kannst. Selbst wenn du mir den Kopf abschneidest, werde ich noch zustoßen.«
    »Die Gefahr besteht«, sagte der Mann hinter ihr. Barbara drehte sich nicht um. Sie starrte dem Ungeheuer ins Gesicht. Es blinzelte. Sein Mund zitterte noch immer. Sie spürte einen Widerstand an ihrer Messerhand, der nicht von der Dicke seiner Haut stammte, sondern von innen kam.
    Wenn sie ihn doch nur sofort ermordet hätte …!
    »Das Messer ist das Problem«, sagte der Mann hinter ihr. Dann war der Druck der Schwertklinge plötzlich verschwunden; stattdessen schlug etwas mit Wucht innen gegen Barbaras rechte Ellenbeuge, und ihr Arm knickte unwillkürlich ein. Erneut blitzte die Schwertklinge vor ihren Augen durch die Luft. Ein zweiter harter Schlag wurde gegen ihr Handgelenk geführt, und das Messer wirbelte in die Schatten und plinkerte irgendwo ungesehen über den Boden, und dann lag die Schwertklinge auch schon wieder an ihrem Hals. »Hoppla«, sagte der Mann. »Das hab ich schon mal schneller gekonnt.«
    Barbara fühlte sich wie in einem Traum, aus dem sie scheinbar aufgewacht war, nur um in einem noch schlimmeren Traum zu landen. Der Schwindel war weiterhin in ihrem Kopf, und die Stimme des Mannes hinter ihr drang wie durch ein dickes Tuch an ihre Ohren. Durch all die Gedanken, die in ihrem Kopf strudelten, drang einer immer wieder an die Oberfläche: Sie hatte das Ungeheuer nicht sofort ermordet, weil sie es nicht hatte tun können. Durch all ihr Entsetzen, ihre Angst und Enttäuschung keimte tiefe Resignation in ihr auf: Sie hätte Bruder Antonius niemals ermordet, und wenn sie hundert Jahre Zeit für die Tat gehabt hätte.
    Dann hörte sie eine neue Stimme hinter sich, und wie ein Schlag ins Gesicht blitzte die Erkenntnis in ihr auf, dass dies die Stimme war, die sie im Traum gehört hatte. Die Stimme sagte: »Wer aber ohne Fehler ist, spricht Jesus Christus, unser Herr, der werfe den ersten Stein.«
    Sie drehte sich

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