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Im Schatten des Klosters - Historischer Roman

Im Schatten des Klosters - Historischer Roman

Titel: Im Schatten des Klosters - Historischer Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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bei Sankt Georg, nicht beim alten Georgstor und nicht beim Saphirenturm einen Steinwurf weit von Sankt Maria Lyskirchen entfernt, wohin Jörg anschließend zurückkehrte. Er sah sich beim Fähranleger unterhalb des Saphirenturms um und befragte sogar ein paar der Müßiggänger, die dort lungerten. Schließlich dämmerte Jörg, dass der Fischputzer einfach irgendetwas gesagt hatte, nur um ihn loszuwerden … und als die Glocken der Kirchtürme plötzlich die Sext schlugen, erkannte er, dass er möglicherweise einen großen Fehler gemacht hatte.

Kapitel 24.
    U lrich zog die Möglichkeit in Betracht, dass er einen Fehler beging, indem er ganz ohne Rückendeckung durch Jörg loszog; aber diese Ahnung drang nicht weit genug durch den resignierten Fatalismus, den er seit Rinaldos Demission verspürte. Irgendetwas in ihm sagte sogar: Was soll’s? Hat alles ja eh keinen Wert. Er fühlte sich mutlos, müde und angeekelt von seiner Aufgabe, der Stadt und allen Menschen. Der Kerl, den der Wirt des Heiligen Knochen als Stallbursche beschäftigte und den Ulrich sich als Führer ausgesucht hatte, war im Vergleich deutlich fröhlicher: Er sprang und hüpfte im Wechselschritt neben Ulrich her, pfiff und plapperte ununterbrochen etwas, das zu Ulrichs einem Ohr hinein und zum anderen wieder hinausging, ohne sich auf der Strecke dazwischen irgendwo festzuhängen. Offenbar war die Arbeit als Stallbursche hart genug, dass jede Abwechslung eine gute Abwechslung war.
    Die Gassen waren leerer als sonst, die Menschen entweder in den Kirchen ihrer Sprengel oder bei der Mittagsruhe. Die Sonne stand fast senkrecht über der Stadt und drängte die Schatten an die Hausmauern zurück. Beim alten Tor hinter dem Dom bogen sie hart zum Fluss hin ab und schritten eine Weile an der alten Stadtmauer entlang, die wie ein sich in die Länge ziehender Steinbruch aussah, einen hohen Torturm in einer Viertelmeile Entfernung vor Augen, den Ulrich so lange für ihr Ziel hielt, bis sie an einer kleinen Kirche plötzlich wieder nach links einbogen. Die Bebauung war hier lückenhafter als weiter im Süden der Stadt – einige Brachflächen flirrten in der Mittagshitze, dahinter erhoben sich die grünen Köpfe von Obstbäumen; bebaute Felder dehnten sich, und kleine Staubfähnchen stiegen in die Höhe, wo ein fleißiger Gärtner Unkraut jätete. Nahm man die Türmchen hinzu, die über den Baumkronen zu sehen waren, erinnerte die Szene Ulrich an den Anblick, der sich einem bot, wenn man sich dem Kloster von Sankt Albo näherte. Eine heiße Welle des Heimwehs flutete in sein Herz und machte den Gedanken an seine Pflicht hier in der Stadt noch unerträglicher.
    »Wie weit noch?«, fragte er.
    Der Stallbursche deutete voraus. »Das da vorn is’ Sankt Kunibert. Der Turm is’ dann gleich dahinter, nach dem zweiten Mauerring.«
    Schräg gegenüber von Sankt Kunibert kletterten sie durch eine Bresche in der Mauer, die verriet, dass vor der letzten Stadterweiterung der Weg hier zu Ende gewesen war, sich aber nun, seitdem die neue Stadtmauer zwei- oder dreihundert Schritte weiter nach außen verlagert worden war, einen eigenen Durchgang geschaffen hatte. Die Strecke zwischen dem zweiten Mauerring, der sich völlig intakt nach Osten und Westen fortsetzte – abgesehen von der Bresche hier, deren es noch weitere geben mochte –, und der neuen Mauer (die noch nicht mehr war als eine Palisade auf einem Wall, soweit Ulrich sehen konnte), war unbebaut. Parzellierte Flächen mit allerlei Grünzeug darauf zeugten davon, dass der Boden als Anbaufläche genutzt wurde, bis der Bischof oder die für diesen Stadtteil zuständigen Schöffen sich darüber schlüssig wurden, wem sie das neugewonnene Viertel zuwiesen. Der Kunibertsturm war nicht mehr als ein hoher hölzerner Wehrbau, windig wie ein Belagerungsturm und nur wenig massiver. Die Palisade war zu hoch, als dass man darüber hinwegschauen und den Fluss sehen konnte, doch Ulrich spürte den kühlen Lufthauch des Wassers und roch die vielfältigen Düfte, die es aussandte und die von der dichteren Bebauung innerhalb des zweiten Mauerrings abgefangen worden waren.
    »Da isser«, sagte der Junge überflüssigerweise.
    »Werden die Wachen mich hinauslassen?«
    »Raus kommt jeder«, erklärte der Junge und kniete nieder. Ulrich, der in seiner Börse nach einer zusätzlichen Münze für den Burschen gesucht hatte, hielt erstaunt inne. Richtig, der Stallbursche kannte ihn ja als Bruder Antonius, den Mann, vor dem alle sich

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