Im Schatten des Krans: Ein historischer Kriminalroman aus Hamburg (German Edition)
Hausherr betete halblaut und dankte Gott dafür, dass er sie so sicher durch das Leben führte und ihnen immer eine gefüllte Suppenterrine schenkte.
Caesar Schröder war kein gläubiger Christ. Er ging zwar jeden Sonntag mit seiner Familie in die Kirche, wie es der Anstand und seine Stellung vorschrieben, doch spendete er keine Kerzen. Er lehnte diese Art von Bestechung ab, wie es die Katholiken taten, um Gott auf ihre Seite zu ziehen. Er machte grundsätzlich keine Geschäfte mit Personen, die ihm nicht persönlich bekannt waren oder ausdrücklich von glaubwürdigen Geschäftspartnern empfohlen wurden. Und Pastor Kielmann war keine Autorität, auf die er sich verlassen wollte. Außerdem schien ihm der Allmächtige ohnehin ein Gott der Frauen zu sein. Ihm vertrauten sie sich an mit ihren großen und kleinen Wünschen, und manchmal wurden sie erhört. Auch die Wunder der neueren Zeit, von denen allenthalben berichtet wurde, kamen fast ausschließlich den Frauen zugute. Warum also, fragte sich der Kaufmann Caesar Schröder, sollte sich ein Mann einem Gott der Frauen anvertrauen?
Ungeachtet dessen hatte er sich jedoch ein Repertoire an Floskeln und Versatzstücken zurechtgelegt, das es ihm ermöglichte, das Mittagsgebet zu sprechen, ohne sich im Laufe des Jahres allzu oft zu wiederholen, und das ihm das Wohlwollen seiner Frau und auch das der Kochfrau einbrachte.
Nach dem Gebet blickte er mit ernster Miene in die Runde. Madame zog die Augenbrauen fragend hoch, Alexander starrte auf seinen Teller, Cäcilie rutschte nervös auf dem Stuhl hin und her und nestelte an ihrer Serviettentasche mit dem eingestickten Monogram. Die Mutter legte ihre Hand auf Cäcilies Arm. Es sah wie eine beruhigende Geste aus, doch der Druck war unangenehm stark. Ärgerlich zog Cäcilie die Hand weg.
Das Hausmädchen brachte einen Krug Braunbier und schenkte der Reihe nach ein. Dann servierte sie Fleischbouillonmit Mehlklößchen. Zwischen den sorgfältig gezupften Augenbrauen der Hausfrau bildete sich eine steile Falte.
»Von links vorlegen!«, zischte sie.
Alexander schaute zu seiner Mutter und rümpfte missbilligend die Nase.
Madame streifte mit einem hilfesuchenden Blick die drei dunklen Ölgemälde an der Längswand, die Familienangehörige derer von und zu Kerkenstein zeigten, die Vorfahren Anna Louise Schröders. »Wir wollen doch auf die Etikette achten«, sagte sie.
Nach der Vorsuppe stapfte die Kochfrau die steile Stiege auf der Rückseite des Speichers herauf, erhitzt vom Herdfeuer und den zahlreichen Stufen.
Cäcilie verzog das Gesicht. »Schon wieder Fisch«, flüsterte sie Alexander zu.
»Stint ist gerade billig«, sagte die Kochfrau. »Dazu gibt es Kartoffel-Speck-Salat. Und auf besonderen Wunsch des Herrn Alexander habe ich Erbsenpüree gemacht.«
Das Hausmädchen legte vor, diesmal ängstlich auf die richtige Seite achtend.
Das Hauptgericht wurde in absoluter Stille und in angemessener Aufmerksamkeit den Gaben Gottes gegenüber eingenommen. Schließlich legte der Hausherr das Besteck beiseite, nahm die Serviette vor den Mund, rülpste verhalten und blickte zur Köchin hinüber, die in der Pantrytür auf Abruf stand. »Das Essen war ausgezeichnet«, sagte er, »wir klingeln, wenn wir etwas brauchen.«
Man wartete, bis die Kochfrau und das Hausmädchen weit genug die knarrende Treppe hinuntergestiegen waren, dann informierte Caesar Schröder seine Frau über den Tod Elbrands und die Verhaftung des Commis’ Roger Stove.
»Elbrand?« Madame blickte auf die Bilder ihrer Vorfahren. »War das nicht dieser ungehobelte Zimmermann?«
»Elbrand war ein Meister des Schiffbaus. Er war Werftbesitzer und ein erfolgreicher Kaufmann«, begehrte Caesar auf.
»So genial kann er nicht gewesen sein«, giftete Cäcilie. »Die K ONSUL H AGEMEISTER sank bereits auf der Jungfernfahrt.«
Alexander sah seine Schwester ärgerlich an. »Man sagt, dass das Schiff überladen war.«
»Man sagt aber auch, dass es schlecht gebaut war«, keifte Cäcilie zurück.
»Der musste so enden, der war gottlos, ich habe ihn noch nie in der Kirche gesehen«, meldete sich Madame zu Wort. Und dann sagte sie noch, mit tiefem Bedauern in der Stimme: »Der arme Roger. So ein feiner Mensch und aus einer so vornehmen Familie.«
Schweigen im Speisezimmer. Ein jeder hing seinen Gedanken nach. Cäcilie zog das Messer über den Hohlsaum der Tischdecke, Anna Louise Schröder blickte sich im Raum um, ihre Mundwinkel wanderten nach unten.
Das macht dich nicht
Weitere Kostenlose Bücher