Im Schatten des Krans: Ein historischer Kriminalroman aus Hamburg (German Edition)
haben beide die Gesellschaft zu unterschiedlichen Zeiten verlassen, sich jedoch in der Nähe des ›Hotels zum Kaiserhof‹ wieder getroffen. Dabei gerieten sie in einen heftigen Streit. Nach Angaben einer Anwohnerin wurden die beiden Männer so laut, dass sie davon aufwachte. Siedrohte ihnen mit der Nachtwache und hätte den Männern – nach eigenen Angaben – liebend gerne den Nachttopf über die Köpfe gegossen, wenn der denn schon voll gewesen wäre.«
Cäcilie prustete laut los, was ihr die strafenden Blicke ihrer Mutter und ihres Bruders einbrachte.
»Wie die Frau aussagte, waren ihr die Männer nicht bekannt. Doch sie erkannte am Akzent, dass einer von ihnen ein Engländer sein musste.«
»Was sagt Roger dazu?«, fragte Alexander.
»Er bestreitet nicht die Auseinandersetzung auf der Straße. Aber er bestreitet, dass er mit dem Tod von Herrn Elbrand etwas zu tun hat.«
Caesar Schröder nahm einen Schluck Braunbier, Alexander spielte nachdenklich mit seinem Besteck, doch Cäcilie konnte es vor Spannung kaum aushalten.
»Weiter!«, drängte sie.
»Offensichtlich entfernten sich die Männer auf getrennten Wegen, wobei sie sich immer noch beschimpften. Einige Zeit später fand die Nachtwache den Werftbesitzer in der Straße Herrengraben, in seinem Blute liegend. Er war durch mehrere Messerstiche in die Brust getötet worden. Es befanden sich keine Wertsachen bei dem Toten –«
»Dann kann es nicht Roger gewesen sein«, fuhr Cäcilie dazwischen, »der hat es nicht nötig, jemand auszurauben.«
»Das habe ich dem Capitain auch gesagt. Eigentlich wollte ich meinen Commis gleich mitnehmen.« Er machte eine bedauernde Handbewegung. »Leider ist das alles nicht so einfach. Johann Christian hat mir gesagt, dass Herr Stove bis zur vollständigen Aufklärung des Mordes im Gefängnis bleiben muss. Der Raubmord könnte eine Finte sein, um von seinem wirklichen Motiv abzulenken. Außerdem behielte man Ausländer gerne länger im Gefängnis, weil die Gefahr der Flucht bestünde. Denn wenn einer erstmal im Ausland wäre, könnte man seiner nicht mehr habhaft werden.«
»Der arme Roger, der arme Roger«, jammert Madame.
»Ich möchte wissen«, sagte Alexander, »wie es Roger im Gefängnis aushalten kann. Es ist doch unmöglich, mehr als ein paar Tage in so einem Etablissement zu überleben.«
»Sicherlich ist er völlig heruntergekommen, der Arme«, sagte Madame und tupfte sich eine Träne aus den Augen.
»Da wir uns kennen und schätzen«, sagte Caesar Schröder mit deutlich hörbarer Genugtuung, »habe ich von Johann Christian eine seltene Gnade erfahren: Ich erhielt die Genehmigung, den Delinquenten im Gefängnis zu besuchen. Ich möchte mich nicht in Einzelheiten ergehen, schließlich sind Frauen am Tisch«, hier nickte er seiner Frau und Cäcilie zu, »doch Herr Stove schien wohlauf zu sein, wenn auch etwas abgemagert. Und seine Kleidung war auch nicht mehr ganz sauber.«
»Wir können ihm einiges an Leibwäsche schicken«, sagte Madame schnell.
»Roger Stove hat sich auf seinen englischen Humor besonnen, ich würde es aber eher als Galgenhumor bezeichnen. Interessante Leute hier, hatte er gesagt, jetzt lerne er Hamburg einmal von einer ganz anderen Seite kennen. Dann hat er noch hinzugefügt, dass das Essen recht schlecht sei und dass es keine Mädchen im Gefängnis gäbe. Er hat mir tatsächlich die Bitte für den Polizeiherrn aufgetragen, man möge ihn ins Frauengefängnis überstellen.«
»Er ist verrückt geworden«, flüsterte Madame. »Kein Wunder, bei dieser Behandlung.«
Es senkte sich ein betretenes Schweigen über die Tafel. Caesar Schröder spielte nervös mit seiner Uhrkette.
»Da ist noch etwas Merkwürdiges passiert. Dieser englische Agent, der hier eine Maschinenfabrik vertritt, ist verschwunden.«
»Verschwunden?«, fragte Alexander.
»Nun ja, Roger Stove ist nicht der einzige junge Engländer in der Stadt. Deshalb hat die Polizei alle bekannten Britenaufgesucht. Doch den Agenten haben sie nicht angetroffen. Und er ist auch bisher nicht wieder aufgetaucht.«
»Jetzt ist es wichtiger denn je, sich in unseren Kreisen umzuhören«, platzte Cäcilie heraus.
Alle nickten, keiner widersprach, nicht einmal Caesar.
Am frühen Abend schlich Cäcilie nach unten, doch Moritz war nicht im Kontor. Natürlich nicht, dachte sie, sicherlich wartet er im Keller auf mich. Moritz wartete tatsächlich auf der Treppe. Er wollte sie gleich in den Arm nehmen, doch sie entzog sich seinem
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