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Im Schatten des Krans: Ein historischer Kriminalroman aus Hamburg (German Edition)

Im Schatten des Krans: Ein historischer Kriminalroman aus Hamburg (German Edition)

Titel: Im Schatten des Krans: Ein historischer Kriminalroman aus Hamburg (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Rath
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ganzen Gewicht an dem Hebel. Der letzte Stamm bewegte sich nach vorn, schwankte einen Moment, rollte dann über den darunterliegenden hinwegund riss diesen und noch einen weiteren Stamm mit sich. Die drei Baumstämme polterten hinunter und schlugen donnernd auf den hölzernen Vorsetzen auf. Sie waren noch nicht bis zur Straße gerollt, da flogen schon die Türen der Gasthäuser auf. Männer strömten heraus, Rufe und Flüche hallten durch die Nacht.
    Von all dem bekam Moritz nichts mehr mit. Er war bereits zur Wasserseite geflüchtet und von dort auf die Vorsetzen hinunter gesprungen, war hingefallen, hatte sich blitzschnell aufgerappelt und war losgerannt. Im Vorbeiflug registrierte er, dass im Kontor von Kapitän Westphalen noch die Kerzen brannten.
    An der Hohen Brücke musste er stehen bleiben, weil er keine Luft mehr bekam. Sein Herz raste wie wild, er musste sich am Brückengeländer festhalten. Als der Pulsschlag etwas ruhiger geworden war, blickte er zurück. Es schien ihm niemand gefolgt zu sein. Dann schaute er an sich herunter und erschrak. Im Schein der Kandelaber säuberte er seinen Anzug so gut es ging von Sägespänen und Moos.
    Wer mir wohl aufgelauert hat?, fragte er sich. Doch diese Frage war sinnlos, er wusste genau, wer der nächtliche Schatten gewesen war: der Elbrandmörder. Der verfolgte ihn und seine Eltern wohl schon, seit sie sich um den versoffenen Schauermann gekümmert hatten. Der Mörder hatte den Brand gelegt, und nun hatte er es auf ihn abgesehen. Ich bin zwar nur ein Junge, dachte Moritz, aber ich bin schnell. So leicht bekommt man mich nicht, auch dann nicht, wenn man schon einen Mord begangen hat.
    Im Hof roch es immer noch verbrannt, obwohl der Vater und Jan die verkohlten Schuppenreste weggeräumt hatten. Doch Moritz nahm den Geruch kaum wahr, er war in Gedanken immer noch mit seinem Verfolger beschäftigt. Daher sah er auch die Gestalt nicht, die sich aus einem Hauseingang löste und ihm folgte. Plötzlich spürte er spitzen Stahl im Rücken. Erstarrt, steif vor Schreck, blieb er stehen. Der Mörder!, fuhr es ihm durch den Kopf.
    »Endlich hab ich dich, du Brandstifter«, schnarrte eine Stimme hinter ihm. »Umdrehen!«
    Moritz bewegte sich nur langsam. Vor ihm stand August Grewe aus dem Nebenhaus.
    »Ach, du bist es, Moritz.« August ließ das Messer sinken. »Ich hab dich gar nicht erkannt. Weißt du, meine Augen sind nicht mehr die besten.«
    Moritz’ Anspannung löste sich, doch das Flattern in der Magengegend blieb. »Haben Sie Brandwache?«, fragte er mit zitternder Stimme.
    »Ja, bis Mitternacht.«
    »Ich bin morgen dran. Zusammen mit meinem Bruder.«
    Als er nach oben in die Wohnung kam, hatten die Forcks bereits gegessen. Der Vater zog erstaunt die Augenbrauen hoch.
    »Viel zu tun«, sagte Moritz kurz.

18
    Moritz zog Striche auf seiner Liste, einen nach dem anderen. Er war etwas nachlässig gewesen in der letzten Zeit, in Gedanken entschuldigte er sich bei Roger. Sicher konnte der verstehen, dass das Leben nicht einfach war für einen Jungen, dessen eine Freundin sich rar machte und der auch noch einen Mörder finden musste. Moritz zählte nach. Vierundzwanzig Tage saß Roger nun bereits im Gefängnis. Und noch war kein Ende abzusehen.
    In der Mittagspause stapfte Moritz mit den Händen in den Jackentaschen und mit verschlossenem Gesicht über den Jungfernstieg. Es war zwar nicht warm an diesem Frühlingstag in Hamburg, doch die Sonne zauberte ein Lächeln auf die Gesichter der Menschen. Mademoisellen, zu zweit oder zu dritt untergehakt, schlenderten kichernd am Alsterbecken entlang, und würdevolle Herren in gepflegter Kleidung schritten zur Börse. Zofen und Hausmädchen mit weißen Häubchen eilten geschäftig vorüber, eine Gruppe Commis lärmte in der Nähe des Alsterpavillons, um die Mademoisellen auf sich aufmerksam zu machen.
    Von dem jungen Kontorlehrling in seiner abgetragenen Kleidung nahmen nur einige der allein flanierenden Frauen Notiz, die ihre üppigen Reize hinter wenig Tuch verbargen. Moritz errötete jedes Mal, wenn sie ihm ein vielversprechendes Augenzwinkern zuwarfen. Verschämt senkte er dann den Blick und eilte hastig vorüber. Die erkennen den Arbeiter in dir, hatte Roger einmal gesagt, weil sie selbst Arbeiterinnen sind   – obwohl Handarbeiten nicht ihre Stärke sind.
    Schließlich hatte Moritz den Neuen Jungfernstieg erreicht. Hier war es nicht mehr ganz so bevölkert. Er verlangsamte den Schritt und setzte sich schließlich unter den Ästen

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