Im Schatten des Krans: Ein historischer Kriminalroman aus Hamburg (German Edition)
einer Trauerweide ans Ufer, um seine Brote zu verzehren. Neben ihm gluckstedas Wasser an die Kaikante, etwas weiter entfernt balgte sich eine Horde Spatzen um ein paar Krümel.
Während er lustlos auf seinen Broten herumkaute, dachte er an den Ausflug vom letzten Abend. Wer hat mich verfolgt und mir aufgelauert? War es wirklich der Mörder? Es muss der Mörder gewesen sein. Wer sonst sollte sich auf den Vorsetzen herumdrücken. Ich hatte mich dort ja auch versteckt, also ist das nichts Ungewöhnliches. Vielleicht war es jemand, der auf Raubzug war? Quatsch, es war der Elbrandmörder.
Sein Blick wanderte wieder zu den Menschen auf dem Jungfernstieg. Hamburg ist zwar groß, dachte er, aber offensichtlich nicht so groß, dass der Mörder mich nicht doch aufspüren konnte.
Vorsichtig blickte er sich um. Nein, hier schlich niemand in böser Absicht herum. Vielleicht bin ich sicherer zwischen all den Leuten, hier dürfte es nicht ganz so einfach sein, mich zu finden. Ich darf nur nicht in die Neustadt und auf die Vorsetzen gehen.
Der Streit der Spatzenschar wurde lauter, und Moritz’ Gedanken schweiften ab, zu Jette hin. Ganz sicher würde sie auch heute nur wenig auf dem Teller haben und morgen hungrig aufstehen. Mit einem Mal konnte er nicht weiteressen. Er wickelte die Reste seiner Malzeit in das Butterbrotpapier und machte sich auf den Rückweg. Bei einem fliegenden Händler kaufte er ein Plunderstück für sie.
Er bog gerade in den Neuen Wall ein, als ihn ein helles Lachen vom Alsterbecken her aus seinen Gedanken riss. Dieses Lachen kannte er. Cäcilie! Seine Augen suchten das Wasser ab. Cäcilie saß in einem der Boote, hatte einen kleinen Sonnenschirm aufgespannt und schien bester Laune zu sein. Der Kahn wurde von einem jungen Mann gerudert, der Kleidung nach ein Engländer. Cäcilie lachte laut, tauchte eine Hand in die Alster und spritzte den jungen Mann nass.
Ein eisiger Schreck durchzuckte Moritz. Seine Cäcilie, ohne weibliche Begleitung, in einem Boot, mit einem fremden Mann. Das war nicht nur ungewöhnlich, das war unmoralisch, womöglichsogar verboten. Er ging näher an die Kaikante, um diesen Stutzer, diesen gelackten Affen, diesen modischen Gecken besser sehen zu können. Der blickte genau in diesem Augenblick in seine Richtung. Schnell tauchte Moritz im Gewühl der Leute unter.
Am Nachmittag versuchte er im Kontor am Steinhöft, aus dem Gekritzel des Kapitäns einen einigermaßen brauchbaren englischen Brief anzufertigen, aber er war unkonzentriert und verschrieb sich ständig. Der Klabautermann runzelte ärgerlich die Stirn.
Ich kann nicht hier stehen, als sei nichts gewesen, dachte Moritz. Man kann keinen perfekten Brief schreiben, wenn die Freundin zur gleichen Zeit von einem Engländer über das Alsterbecken gerudert wird, das müsste der Klabautermann doch verstehen. Moritz’ Gedanken zerbröselten im Nichts – wie so häufig in der letzten Zeit. Ich bin kein Umgang für Cäcilie, dachte er, bald wird sie sich verloben und einen Mann ihres Standes heiraten, sie hat das Alter dazu. Immerhin kann ich dann noch ihr Majordomo werden. Er rammte die Feder ins Tintenfass. Nein, ich will kein Hausmeister sein, ich will Quartiersmann werden! Und eigentlich will ich Cäcilie gar nicht mehr haben. Aber wenn hier einer die Freundschaft beendet, bin ich es.
Auch an diesem Abend blieb Moritz dem Kontor in der Großen Reichenstraße fern. Was sollte er auch dort? Auf Cäcilie wollte er nicht mehr warten, jetzt, wo er mit ihr gebrochen hatte. Er stapfte am Binnenhafen entlang, starrte zu den Segelschiffen und summte trotzig ein Lied. Einen Marsch, die Musik der Soldaten, für Menschen erdacht, die sich zu einer Entscheidung durchgerungen hatten und die bei dieser Entscheidung blieben, ob tot oder lebendig.
Merkwürdigerweise geriet er aus dem Takt. Das lag sicherlich am Getrampel der vielen Stiefel. Er blickte sich um. Vier Männer folgten ihm, schweigend, mit mürrischen Gesichtern. Sie nahmen die gesamte Straßenbreite ein und schritten energisch aus.
Moritz ging schneller. Die Männer holten auf. Sein Rücken versteifte sich. Ganz sicher hatten sie es auf ihn abgesehen. Doch warum? Natürlich um ihn umzubringen, das bereitete hier keine großen Probleme. Man brauchte nur jemand anzurempeln – schon stürzte der ins Wasser und ertrank. Doch noch konnte er flüchten. Aber wohin? Rechts war das Hafenbecken, links die Häuserzeile mit den Schänken. Sollte er sich in den Schatten der Häuser
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