Im Schatten des Krans: Ein historischer Kriminalroman aus Hamburg (German Edition)
Dann fiel ihm ein, dass sein Vater auch einmal in einer ähnlichen Situation gewesen war. Damals, als das Feuer des großen Brandes auf den Speicher von Caesar Schröder überzuspringen drohte. Vater hatte kein Geld genommen.
Er nahm sich ein Herz, wählte seine Worte vorsichtig. »Wenn ich eine Bitte …«
»Nur zu! Was willst du haben?«
»Könnte Madame Schröder vielleicht eine Stelle für ein Hausmädchen vermitteln? Hier in der Stadt.«
»Für jemand aus der Verwandtschaft?«
»So ähnlich.«
»Soll es bei uns sein?«
»Nein, nein, nicht hier. Aber nicht so weit weg in der Stadt wäre schon sehr schön.«
Caesar Schröder lächelt. »Das lässt sich bestimmt machen. Madame wird gerne ihre Kontakte spielen lassen.«
21
Nach einer Woche der Abwesenheit nahm Roger Stove seinen Dienst im Kontor vor Schröder & Westphalen wieder auf. Er hatte etwas zugenommen und war nicht mehr ganz so blass. Allerdings wirkte er ernsthafter als vor seiner Inhaftierung. Moritz freute sich auf die gemeinsamen Spaziergänge in der Mittagspause am Alsterbecken. Doch so richtig, aus vollem Herzen, konnte er sich nicht freuen. Nun war er also wieder dazu verdammt, seine gesamte Arbeitszeit im Kontor zu verbringen, denn ab jetzt würde Roger wieder die englische Korrespondenz übernehmen. Vorbei die Ausflüge zum Steinhöft, vorbei die Gespräche mit Kapitän Westphalen und Hinrich Quast, vorbei die Kontrollbesuche auf den Schiffen.
Moritz hatte allerdings die Rechnung ohne den Klabautermann gemacht. Der polterte eines Morgens ins Kontor, hatte eine kurze Unterredung mit Caesar Schröder und verkündete anschließend, dass der Lehrling weiterhin die Konnossemente zum Steinhöft bringen müsse. Und dann fügte er mit lauter Stimme und einem scharfen Blick auf Harms hinzu, dass dies ein ausdrücklicher Befehl sei und ein Verstoß dagegen unweigerlich die ganze Härte der Seegesetzgebung nach sich zöge. Der Kontorvorsteher verstand die Andeutung und zog den Kopf ein.
Außerdem, erklärte Kapitän Westphalen, solle Moritz unter Anleitung von Herrn Stove seine englische Geschäftskorrespondenz verbessern und möglichst oft englisch sprechen. Moritz glaubte seinen Ohren nicht zu trauen und wischte vor Aufregung die Streudose mit dem Löschsand vom Pult.
Anschließend hielt Caesar Schröder eine Ansprache. Er erklärte, dass man nicht darauf hoffen könne, Roger Stove ewig an das Handelshaus zu binden – obwohl er sich das natürlich vonganzem Herzen wünsche – und dass daher Schröder & Westphalen rechtzeitig einen Commis heranziehen müsse, der sich in der englischen Sprache auskenne.
Harms nickte während dieser Ausführungen immer wieder dienstbeflissen, wenn auch mit säuerlicher Mine, Alexander blickte mit einem salbungsvollen Lächeln auf Moritz herab, als wäre er selbst der Urheber dieser weitblickenden Entscheidung gewesen, und Roger kniff verschwörerisch ein Auge zu. Moritz war diese allgemeine Aufmerksamkeit überaus unangenehm. Er blickte angestrengt auf einen Tintenfleck am Pult, fast befürchtete er, vor Scham durch den Boden des Kontors in die Diele hinunterzusinken.
Nachdem Caesar Schröder die Mittagspause eingeläutet hatte, trat Roger zu Moritz. »Einen schicken Anzug hast du«, sagte er, »den müssen wir an der Alster ausführen.«
Es war wirklich ein prächtiger Gehrock, den der Fürst dem Kontorlehrling auf den Leib geschneidert hatte, doch Moritz fühlte sich immer noch verloren darin, irgendwie verkleidet. Deshalb trug er ihn auch nur ein- oder zweimal in der Woche. Mit den Schuhen war es allerdings etwas anderes. Sie waren weich und bequem und passten sich seinen Füßen an wie eine zweite Haut. Er trug sie jeden Tag, und sie schienen täglich ein Stück bequemer zu werden. Das war doch wirklich etwas ganz anderes als die ausgelatschten Schuhe, die er bisher von Jan bekommen hatte. Und Jan war ganz sicher nicht der erste Besitzer dieser Schlappen gewesen.
Jetzt, Ende März, strahlte die Sonne eine Wärme aus, die noch mehr Menschen nach draußen lockte. Entsprechend belebt waren die Straßen der Stadt.
»Weißt du, wo dieser englische Agent geblieben ist?«, fragte Moritz, während sie sich durch die Menge schoben.
»Welcher Agent?«
»Na, der englische Agent der Iron Company.«
»Ach, den meinst du. Well, der ist schon lange in England. Der war schlauer als ich. Als er von dem Elbrandmord erfuhr, ist er mit dem ersten Schiff abgereist. Er hat sich gleich gedacht, dass man
Weitere Kostenlose Bücher