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Im Schatten des Krans: Ein historischer Kriminalroman aus Hamburg (German Edition)

Im Schatten des Krans: Ein historischer Kriminalroman aus Hamburg (German Edition)

Titel: Im Schatten des Krans: Ein historischer Kriminalroman aus Hamburg (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Rath
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sagen, ihn beruhigen, doch es fiel ihr nichts ein. Sie war ja so unerfahren in diesen Dingen. Im Stillen verfluchte sie ihre Entscheidung, Josephine weggeschickt zu haben.
    Plötzlich streifte etwas ihren Rücken und die Haare. Weidengeäst zog über das Boot hinweg, es wurde dämmerig, dann stießen sie gegen den Kai des Neuen Jungfernstiegs. Das Boot schwankte, Cäcilie musste sich an der Bordwand festhalten. Sie lagen im Halbdunkel eines Baumes. Hinter ihnen ragte der mächtige Stamm empor, ein kühler Hauch wehte durch die Zweige. Fröstelnd raffte Cäcilie ihren Schal vor der Brust zusammen. Mit einem Schlag wurde ihr klar, dass er sie in eine Falle gesteuert hatte. Sie war von den anderen Booten und den Menschen durch einen dichten Blättervorhang getrennt. Sie war allein auf der Welt mit diesem schrecklichen Menschen, ihm ausgeliefert, ohne Schutz.
    Charles kletterte über die Ruderbank. Mit einem merkwürdigen Lächeln auf den Lippen kam er näher. Cäcilie rückte ängstlich an die Bordwand, weiter ging es nicht mehr. Das Boot legte sich etwas zur Seite und Roger musste sich festhalten; doch das brachte nur wenig Aufschub.
    Dann stand er vor ihr, groß, stämmig, breitbeinig. Seine Hände kamen auf sie zu, fassten sie unter den Armen und hoben sie so leicht vom Sitz hoch, als wäre sie eine Puppe. Cäcilie war starr vor Schreck, sie konnte sich weder wehren noch schreien. Mit seinen kräftigen Händen presste er sie an sich, die Fischbeinstäbe desKorsetts drückten schmerzhaft gegen ihre Rippen. Lieber Gott, befrei mich von diesem schrecklichen Menschen, war das Einzige, was sie noch denken konnte.
    Charles Turner hielt sich jetzt nicht mehr mit Liebesgeflüster auf. Sein Gesicht näherte sich ihr, sie sah seine große Nase auf sich zukommen. In diesem Augenblick erwachte ihr Widerstand. Als er sie zu küssen versuchte, hieb sie ihm mit der Faust ins Gesicht. Doch das schien ihn nicht zu stören, er lachte nur, schien sogar Spaß an ihrer Verzweiflung zu haben.
    Er griff nach ihren Händen und drückte sie ohne allzu große Anstrengung nach unten. Dann öffnete er die Lippen zum Kuss. Cäcilie versuchte ihm auszuweichen, sie bog ihren Körper nach hinten. Er folgte ihrer Bewegung in dem schwankenden Boot, das sich jetzt gefährlich weit auf die Seite legte.
    Moritz wischte sich die Brotkrümel von der Hose. Ein letztes Mal schaute er über die Alster zum Jungfernstieg, doch weder Cäcilie noch der Engländer waren zu sehen. Vielleicht treiben sie sich in den Wallanlagen herum, dachte er, Händchen haltend auf verschwiegenen Nebenwegen, fernab vom Trubel der Stadt.
    Er schüttelte unwillig den Kopf. Was ging ihn Cäcilie an? Hatte er nicht Jette? Cäcilie konnte ihm gestohlen bleiben. Mochte sie auch auf Knien angerutscht kommen, er würde sie nicht einmal bemerken.
    Plötzlich hörte er hinter sich ein Poltern, dann einen spitzen Schrei. Er drehte sich um, doch es war nichts zu sehen, keine Menschenseele weit und breit, nur der Alsterdamm und die Trauerweide. Gerade wollte er sich wieder abwenden, da schoss ein leeres Boot, noch halb auf der Seite liegend, in einem Wasserschwall unter den Weidenzweigen hervor. Moritz schaute verwundert. Ein Boot fuhr doch nicht allein. Also musste der Ruderer herausgefallen sein.
    Er rannte zur Weide, riss die Zweige beiseite und suchte das Wasser ab. Ein Mann schwamm mit kräftigen Stößen hinter demBoot her und tauchte unter den Weidenzweigen hindurch. Jetzt hörte Moritz ein klägliches Wimmern. Er schaute über die Kaikante nach unten.
    »Du meine Güte, Cäcilie! Was machst du hier im Wasser?«
    Cäcilie klammerte sich mit den Fingerspitzen an einem schmalen Vorsprung in den Steinquadern fest, ihre Finger waren weiß vor Anstrengung. Überhaupt sah sie recht merkwürdig aus. Ihre Haare hatten sich gelöst und hingen nass am Kopf herunter, die Löckchen waren verschwunden. Das Kleid trieb wie ein blauer, aufgeblasener Luftballon um sie herum. Mit großen, erschreckten Augen blickte sie zu Moritz hinauf.
    »Hilf mir! Ich kann nicht mehr.«
    »Schwimm nach dort drüben. Da ist eine Treppe.«
    »Ich kann nicht schwimmen.«
    In diesem Augenblick rutschte ihre linke Hand von der Kante ab, gleich darauf die rechte. Cäcilie glitt ohne einen Laut unter die Wasseroberfläche, die Hände hilfesuchend nach oben gestreckt. Die Alster blubberte unter den aus ihrem Kleid aufsteigenden Luftblasen. Doch da hatte sich Moritz bereits in den Staub der Straße geworfen und nach unten

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