Im Schatten des Krans: Ein historischer Kriminalroman aus Hamburg (German Edition)
anziehen.«
Moritz war den Tränen nahe gewesen. »Ihr habt mich ja nicht Quartiersmann werden lassen.«
»Schluss jetzt!« Der Vater schlug mit der Faust auf den Tisch. »Moritz trägt seine Arbeitskleidung, und wir tragen unsere Arbeitskleidung. Das ist nur recht so.« Dann senkte er die Stimme auf normale Lautstärke. »Ich verstehe allerdings nicht, warum man neu eingekleidet wird, nur weil man jemand aus dem Wasser gefischt hat.«
»Meine Kleidung war schmutzig geworden«, erwiderte Moritz entschuldigend. »Außerdem hat mir Herr Schröder Geld angeboten.«
Der Bruder pfiff anerkennend durch die Zähne.
»Ich habe es aber nicht genommen.«
Jan stöhnte laut, verdrehte die Augen und schlug sich mit der Hand gegen die Stirn.
»Das war richtig«, sagte der Vater. »Wo kommen wir denn hin, wenn es Geld gäbe, nur weil jemand ins Wasser gefallen ist. Dann würden jeden Tag Hunderte Leute ins Wasser gestoßen und wieder herausgezogen.«
Jette gegenüber hatte Moritz nichts von dem »Unfall an der Alster« erzählt, und sie hatte ihn auch nicht danach gefragt. Möglicherweise war der Vorfall nicht im Hafen bekannt geworden, oder man maß ihm keine große Bedeutung bei. Schließlich fiel immer wieder jemand bei der Arbeit in den Binnenhafen oder in die Elbe. Zum Gesprächsthema wurde es erst, wenn der Mann ertrank.
22
Aprilwetter. Es stürmte aus Nordwest, es war kalt, ein immerwährender Regen peitschte durch die Straßen. Der Himmel hatte fast die gleiche dunkle Färbung wie die Basaltsteine des Pflasters. Moritz trug seinen alten Anzug, denn er wollte seine neue Oberbekleidung nicht dieser Witterung aussetzen.
Harms und Roger kamen nass und mit muffigen Gesichtern ins Kontor, Alexander jedoch erschien mit einem Lächeln, er hatte ja keinen Fuß vor die Tür setzen müssen.
Die Zeit im Kontor schleppte sich dahin, zeitweise wurde es so dunkel, dass man Kerzen anzünden musste. Am Nachmittag erhielt Moritz den Auftrag, einige Depeschen zum Steinhöft zu bringen.
Hinrich Quast blickte missmutig von seiner Arbeit hoch, als Moritz bei ihm auftauchte. »Kapitän Westphalen ist noch auf der Börse. Der wird heute wohl nicht wiederkommen.«
Moritz legte die Papiere auf den Schreibtisch und blickte interessiert zum Zimmermann hinüber, der in einer Ansammlung von Balken, Latten und Hobelspänen stand.
»Mistwetter!«, schimpfte Hinrich Quast. »Ich wollte draußen an der frischen Luft arbeiten. Stattdessen staube ich hier alles voll und muss hinterher auch noch sauber machen.«
»Ich kann Ihnen beim Ausfegen helfen. Was soll es denn werden, was Sie da zimmern?«
Jetzt schmunzelte Hinrich Quast. In seinem wettergegerbten Gesicht bildeten sich viele kleine Falten. »Auftrag vom Kapitän. Ich soll ein Stehpult für dich bauen. Damit du nicht immer so laut stöhnst, wenn du im Sitzen arbeiten musst.«
Moritz lächelte geschmeichelt. Er schaute interessiert zu, wie der Schiffszimmermann mit dem Stemmeisen einen Zapfen auseinem Vierkantholz herausarbeitete. Von Zeit zu Zeit hielt er das Holz gegen das Licht und prüfte den Arbeitsfortschritt. Als es ihm ausreichend bearbeitet erschien, nahm er sein Messer und kerbte Muster hinein.
»Wichtig ist, dass man die Verzierung anbringt, bevor man das Werkstück verleimt«, erklärte er. »Hinterher kommt man nämlich an einige Stellen nicht mehr ran.«
Von draußen, weiter nördlich, dort wo der Steinhöft in die Admiralitätsstraße mündete, dröhnte das Rumpeln schwerer Frachtwagen. Das Knallen von Peitschen und das Wiehern der Pferde waren zu hören.
Moritz horchte auf. »Was ist da los?«
Hinrich Quast blickte verkniffen. »Das geht schon den ganzen Tag so. Die dicken Balken für die Hebemaschine werden zu den Vorsetzen gebracht.«
»Das ist ja spannend. Sicherlich ist es nicht einfach, so einen Kran aufzurichten. Sollten wir uns das nicht ansehen?«
Hinrich Quast tat so, als hätte er nichts gehört. Moritz wiederholte seine Frage. Der Schiffszimmermann blickte böse.
»Ich mag die Leute von Elbrand nicht. Will nichts mit dieser Werft zu tun haben.«
»Aber es ist Zimmermannsarbeit. Das müsste Sie doch interessieren?«
»Es interessiert mich nicht! Und lass mich jetzt in Ruhe.«
Als es dunkel im Raum wurde, beendete Hinrich Quast die Arbeit. Er sammelte das Holz zusammen, Moritz fegte den Boden.
»Ich geh dann mal«, sagte er, als er fertig war.
Der Zimmermann nickte.
Moritz war noch nicht weit gekommen, da holte ihn die Stimme des Zimmermanns
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