Im Schatten des Krans: Ein historischer Kriminalroman aus Hamburg (German Edition)
sie einen dicken Schal. Sie standen sich gegenüber, ein bisschen wie Fremde, wohl beide erstaunt über die kühle Distanz.
»Chic siehst du aus«, sagte Cäcilie und strich über sein Revers.
»Deine Mutter hatte die Güte …« Moritz Stimme verlor sich irgendwo im Raum.
Cäcilie lehnte sich gegen seine Brust. »Ich danke dir«, sagte sie leise.
Moritz stand sehr steif da, vielleicht auch ein bisschen abweisend. Er spürte ihre Wärme durch seine Kleidung, er roch ihre Haare, jedoch keinen Frühlingsblumenduft. Cäcilie drückte sich jetzt stärker gegen ihn, er musste sich am Pult abstützen, um nicht den Stand zu verlieren.
»Es war schrecklich«, seufzte Cäcilie, »fast wäre ich jetzt tot.«
»Dieser verdammte Engländer. Schwimmt einfach weg, ohne sich um dich zu kümmern. Ich werde ihm auflauern und ihn niederschlagen.«
Cäcilie schenkte ihm ein warmes Lächeln. »Das ist nicht mehr nötig, Liebster. Alexander will sich mit ihm duellieren.«
»Nein!«
»Doch. Aber Papa hat es verboten. Er sagt, duellieren würden sich nur Franzosen und Russen wegen ihres merkwürdigen Ehrgefühls. Außerdem wäre ein Duell ein Geschäft mit ungewissem Ausgang, auf so etwas würde sich kein ehrbarer Kaufmann einlassen.«
»Wir können doch diesen schrecklichen Engländer nicht ungeschoren davonkommen lassen.«
Cäcilie strich ihm liebevoll über die Haare und dann ganz leicht, nur mit den Fingerspitzen, übers Gesicht.
»Papa hat das schon erledigt. Er hat den Engländer erstmal einsperren lassen. Wegen Diebstahls. Mein Beutelchen und der Schirm sind ja weg, sicherlich liegen sie auf dem Grund der Alster.« Sie kicherte. »Danach hat Papa seine Geschäftsfreunde benachrichtigt. Die haben der englischen Firma mit dem Boykott ihrer Waren und dem Verlust des Kredits gedroht. Und sie haben durchgesetzt, dass dieser Mister Turner unehrenhaft entlassen wird. Er ist gestern mit einem Dampfer nach England abgefahren.«
Moritz zog Cäcilie an sich heran. »Dann ist ja alles in Ordnung«, sagte er.
In diesem Augenblick waren Schritte auf der Treppe zu hören.
»Mama kommt«, flüsterte Cäcilie erschrocken. »Sie darf mich hier nicht finden.«
»Schnell, hinter das Pult von Harms.«
Sekunden später stand Madame im Raum. Sie stemmte die Fäuste in die Hüften und schaute sich forschend im dunklen Kontor um, das durch die Kerze auf Moritz’ Pult nur notdürftig erhellt wurde. Sie durchquerte den Raum, es gab ein polterndes Geräusch, als sie gegen Rogers Pult stieß. Das Tintenfass fiel zu Boden, Madame gab einen schmerzhaften Laut von sich.
Moritz eilte zu ihr. »Kann ich Ihnen helfen, Madame?«
Anna Louise Schröder rieb sich die Hüfte. Sie setzte zu einer Rede an, sagte dann aber doch nichts und schritt mit knisterndenRöcken zurück zur Tür. »Mademoiselle Cäcilie ist nicht zufällig hier vorbeigekommen auf dem Weg in die Diele?«, fragte sie beiläufig, schon halb auf der Treppe.
»Nein, Madame. Ich habe die Mademoiselle nicht auf dem Weg zur Diele gesehen.« Moritz schlug die Augen nieder. Er hatte die Herrin in die Irre geführt, aber wenigstens war es keine Lüge gewesen.
Die beiden kauerten zitternd hinter dem Pult von Harms. »Wir müssen vorsichtig sein«, flüsterte Moritz.
»Wenn Mama mich hier sieht, wird sie verrückt«, sagte Cäcilie ängstlich. »Das wäre dann schon das zweite Mal, dass sie mich mit einem Mann erwischt, ganz ohne Bewachung. Mama legt mich in Ketten.«
»Und ich wäre meinen Lehrvertrag los.«
Nachdem er seine Arbeiten im Kontor erledigt hatte, eilte Moritz nach Hause, jedoch auf Umwegen. Er wechselte häufig die Straßenseite, bog spontan in einen Gang ein, kam an anderer Stelle wieder zur Straße zurück und erreichte unbehelligt von dunklen Gestalten und glühenden Augen den Hof in der Holländischen Reihe.
In seinem Zimmer kleidete er sich schnell aus und schlüpfte in eine alte Hose und den geflickten Pullover, denn er wollte seinen neuen Anzug auf keinen Fall länger als notwendig tragen. Nicht, dass der unbequem gewesen wäre. Doch als ihn Jan das erste Mal in dem modischen Gehrock, der bunten Weste, der Röhrenhose und den neuen Schuhen sah, hatte er sich prustend über den Küchentisch geworfen.
Die Mutter hatte strafend geblickt. »Ich finde es sehr schön, was Moritz trägt. Auch wenn es vielleicht nicht ganz in unser Viertel passt.«
»Er sieht aus wie der Affe vom Leierkastenmann«, hatte Jan gegrölt. »So etwas würde ein Quartiersmann nie
Weitere Kostenlose Bücher