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Im Schatten des Kreml

Im Schatten des Kreml

Titel: Im Schatten des Kreml Kostenlos Bücher Online Lesen
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lehnte, richtet sich auf und hebt die Hände. Unser Führer zieht einen Revolver aus der Tasche, baut sich breitbeinig auf und zielt damit auf uns. Er trägt immer noch die Astrachanmütze und den gestohlenen Soldatenmantel, aber jetzt, wo wir uns in seiner Welt befinden, sieht er plötzlich gar nicht mehr so lächerlich darin aus.
    »Im Moment sind wahrscheinlich an die zwanzig Gewehre auf uns gerichtet«, sage ich zu Matthews.
    Er blickt sich um, aber es nichts zu sehen außer den wackligen Behausungen, von denen Eis tropft, und einem lausigen Köter, der in den Schlamm pinkelt. Als er fertig ist, läuft er auf den Laster zu und schnüffelt an den Reifen.
    »Was machen wir jetzt?«, fragt Matthews.
    »Wir warten erst mal ab, ob sie mich töten. Wenn ja, ist es mir egal, was danach passiert. Wenn nicht, töten sie euch wahrscheinlich auch nicht.«
    »Du bist wirklich irre komisch, Volk.« Aber er sagt es leise und ohne große Überzeugung. »Ich habe immer gedacht, ich würde es niemandem so leicht machen. Ich habe nie die armen Kerle verstanden, die mit den Händen auf dem Rücken dastehen und sich eine Kugel in den Kopf jagen lassen. Ich schätze, ich habe mich geirrt.«
    Er schleicht sich näher an Charlie heran und flüstert ihr etwas zu. Sie fängt an, leise zu weinen. Er gibt dem alten Mann, Yusup, ein Zeichen, der sein Pferd wendet und sie wegführt. Matthews legt den Arm um Charlies Schultern und redet auf sie ein, während sie über die Planken um einen Hühnerstall herum wanken. Kurz bevor sie hinter einem Stapel zerbrochener Ziegelsteine verschwinden, sieht sie sich nach mir um, ihr Gesicht drückt tiefe Verzweiflung aus.
    Der Junge sitzt ab. Er lässt die Zügel baumeln und weist mir mit dem Gewehr den Weg hinauf zu der erhöhten Veranda. Dann tastet er mich grob vom Knöchel bis zum Schritt ab, sehr viel gründlicher als Maxims Bodyguards. Es dauert ein paar Minuten, bis er das Messer in meiner Prothese gefunden und es aus seiner Halterung gelöst hat. Er schiebt es sich in den Gürtel unter seinem Mantel.
    Ein anderer Mann kommt aus Matthews’ und Charlies Richtung auf uns zu. Er trägt einen geradezu biblischen Bart, der dicht und schwarz sein Kinn bedeckt. Das grüne Band der Rebellen sitzt über seiner ledernen Stirn. Seine schwarz glühenden Augen brennen vor einem alles verzehrenden Hass. Es wundert mich, dass er nicht jeden Augenblick in Flammen aufgeht.
    Mit einem Metalldetektor fährt er jeden Zentimeter meines Körpers ab. Bei einem meiner Jackenknöpfe fängt der Detektor an zu zirpen. Der Mann sucht mich mit einer Hand ab, die fast schwarz vor Dreck ist, findet aber nichts. Als er den Detektor ein zweites Mal darübergleiten lässt, bleibt es still. Bei meiner Prothese fängt das Ding erneut an zu piepsen, und er hockt sich hin, um sie abzutasten; schließlich gibt er mir ein Zeichen sie abzunehmen und untersucht sie minutiös, während ich an einem splittrigen Geländer Halt suche. Seine Finger bohren in dem Schlitz, wo vorher das Messer steckte, dann knurrt er den Jungen an, der es ergeben aus seinem Gürtel zieht und ihm aushändigt. Die Klinge glänzt matt, während er testet, wie es in der Hand liegt und unbeeindruckt mit dem Daumen über die Spitze streicht. Mein Messer kann nicht mit dem langen kinzhal mithalten, der in einer Scheide an seinem Gürtel hängt. Er gibt dem Jungen mein Messer und mir meine Prothese zurück und geht, bevor ich sie wieder angelegt habe.
    Kaum ist er um die Ecke verschwunden, kratzt mir der Junge mit dem Visier am Ende seines Gewehrlaufs wie beiläufig über das Gesicht, eine schnelle Bewegung aus dem Handgelenk heraus, die einen Riss unter meinem Auge hinterlässt. Warmes Blut rinnt über meine Wange. Der Junge sieht mit glänzendem Blick zu. Im Flüsterton sagt er: »Du bist tot, Russenschwein.« Und dann stößt er mich durch die Tür mit den Tierfellen.

48
    Jemand knurrt einige unverständliche Worte, als ich in die verrauchte Dunkelheit der Baracke stolpere. Irgendetwas hämmert auf den Holzboden und macht ein Geräusch wie eine Pauke, aber erkennen kann ich erst mal nichts. Weihrauch, Lampenöl, brutzelnder Hammel und Qualm von einem schlecht belüfteten Feuer vermischen sich zu einem Aroma, das so alt wie die Ewigkeit zu sein scheint. In diesem Raum hat es in den letzten zwanzig Jahrhunderten wahrscheinlich immer so gerochen. Als meine Augen sich an die Dunkelheit gewöhnt haben, sehe ich, dass der Rauch von einem gusseisernen Ofen in der Mitte des

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