Im Schatten des Kreml
General sie nannte – in die Tasche zu dem Messer. »Keine Kopien?«, frage ich, obwohl ich die Antwort bereits weiß.
Er schnaubt. »Natürlich gibt es Kopien. Ihr habt umsonst gezahlt.«
Semerko schlägt wild um sich, er ringt immer noch nach Luft, aber es dringt nur ein Brummen durch den Knebel. Hinter mir schlägt die Tür auf und lässt wieder eisige Luft ein. Der Mann mit dem Bart trampelt herein und reicht Abreg zwei Peilsender ähnlich dem meinen, den ich gerade im Messer untergebracht habe. Der eine stammt von Matthews, der andere war am Fahrgestell des Ural-Lkws befestigt.
»Haltet ihr uns für Idioten, Volkovoj?«
»Wie viele von den Soldaten auf dem Video habt ihr schon getötet?«
»Fünf von ihnen haben wir hier in Tschetschenien gefunden. Einer der Überlebenden hat den ersten an einem Grenzübergang bei Tschiri-Jurt erkannt. Als er zur Toilette ging, haben wir ihn uns geschnappt. Er hat uns zu den anderen geführt. Wir dachten schon, die Spur habe sich verloren, aber dann bekamen wir einen Hinweis auf den Mann, der den Film gedreht hat, und jetzt finden wir auch noch den Rest. Wie deinen Freund, den Hauptmann. Dein towarischtsch.« Mein Kamerad. »Sie werden alle sterben.«
»Es hört also niemals auf?«
Abregs Rücken versteift sich, sein Gesicht verzieht sich zu einer schmerzverzerrten Grimasse, aber er antwortet nicht gleich. Der Vater der Zwillinge starrt mich zornig an. Ich stecke die Hand wieder in die Jackentasche und fasse nach dem Messer.
»Und du willst, dass es jetzt aufhört?«, fragt Abreg, sein Gesicht immer noch eine Fratze.
»Was ist mit dem Ei?«
»Ein Schmuckstück aus der Zarenzeit? Ist es das, was für dich zählt?«
Abreg rappelt sich auf. Er lauert drohend über dem Tisch, wie ein Geier, der gleich neben seiner Beute landet. Der Junge, der mit ihm am Tisch saß, ist ebenfalls aufgestanden, er richtet sein Gewehr auf Semerkos gaffendes Gesicht und tut so, als würde er abdrücken. Abreg faucht etwas in einem tschetschenischen Dialekt, und der Junge lässt enttäuscht das Gewehr sinken.
»Komm«, sagt Abreg zu mir, während er seine Wollmütze auf dem Kopf zurechtrückt. »Wir müssen noch ein frisch ausgehobenes Grab füllen.«
49
Abreg geht leicht vornübergebeugt, wie eine Marionette, als würde der Kopf den Körper Schritt für Schritt hinter sich herziehen, eine tragische Parodie des Bettlers und seines toten Beines in der Moskauer Metro. Wir verlassen die Hütte nach hinten hinaus und laufen zu einem amerikanischen Allradfahrzeug mit einem aufgebäumten silbernen Hengst als Logo. Im Neuzustand war das Heck geschlossen, aber den Rostflecken nach zu urteilen wurde der hintere Teil des Daches schon vor langer Zeit abgerissen, und jetzt sieht der Wagen aus wie ein Pick-up mit Sitzen auf der Ladefläche. Wir steigen ein.
Die Zwillinge und ihr Vater folgen uns und wiegen dabei ihre Waffen wie frisch gewickelte Babys. Sie setzen sich hinter Abreg und mich. Der Mann mit dem Bart, der mich durchsucht hat, wirft ihnen den gefesselten Semerko vor die Füße und nimmt vorn neben dem Fahrer Platz, der den Wagen über Bergkämme und durch versteckte Täler lenkt. Die schneidende Kälte kriecht bis in die Knochen. Nach ungefähr drei Stunden Fahrt schlingern wir um eine letzte Kurve und halten auf einer Lichtung an. Ins Licht der Scheinwerfer getaucht, warten sieben Pferde, kleine Dampfwölkchen ausstoßend und mit den Hufen stampfend. Ein junger bewaffneter Mann hält ihre Zügel in der Hand. Sechs von ihnen sind für Reiter gesattelt, das siebte trägt einen Packsattel.
»Wird ein kalter Ritt, Volk«, bemerkt Abreg.
Er klettert mühsam aus dem offenen Truck, mithilfe zweier seiner Männer, die ihn vorsichtig stützen wie Söhne ihren alten Vater. Ich trete zu ihm auf die Lichtung, nach wie vor bewacht von den beiden Jungen, die erfahren genug sind, um ein paar Meter Abstand zu mir zu halten. Der Mann mit dem Bart hievt Semerko mit dem Gesicht nach unten wie einen Sack Mehl auf den Packsattel und zieht dann die Riemen fest, sodass er in einer seitlich gekrümmten Position zum Liegen kommt. Der Ritt wird eine einzige Qual für Semerko.
»Und jetzt muss ich dich leider bitten, mir das Messer wiederzugeben.« Abreg streckt die Hand aus.
Ich hole das Messer aus der Tasche und gebe es ihm mit dem Griff nach vorn.
Er zieht die Augenbrauen hoch. »Keine Widerrede? Keine Diskussion?« Er hält sich den Griff ans Ohr, schüttelt das Messer leicht, kräuselt die Lippen und tut
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