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Im Schatten des Kreml

Im Schatten des Kreml

Titel: Im Schatten des Kreml Kostenlos Bücher Online Lesen
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so, als würde er aufmerksam horchen. »Ist da vielleicht ein kleines Geschenk für mich drin?« Er schraubt den Kompass ab und leert den Inhalt in seine Hand – ein Plastikröhrchen mit Streichhölzern, eine Minipinzette, Nadel und Faden. Er stochert mit seinem langen Finger im Griff herum, fischt schließlich den Peilsender heraus und spielt den Überraschten. »Na so was«, sagt er. »Habt ihr andere so einfach reinlegen können?«
    Die Antwort lautet: ja, in mehreren Fällen wurde so vorgegangen, aber die letzte Mission, an der ich beteiligt war, verlief nicht ganz so unkompliziert, wie es später dargestellt wurde. Ein russischer Agent hatte den Sender im Hodensack implantiert und kam so nah an den Rebellenführer heran, dass er die Raketen direkt auf sich selbst lenkte. Russlands Helden werden selten gewürdigt, nicht einmal posthum.
    Abreg wirft den Sender in eine Schneewehe. »Da. Jetzt können deine Leute ein paar Bäume in die Luft jagen und sich das Feuerwerk bequem von ihrer Kontrollzentrale aus ansehen. Wo ist die eigentlich? Wladikawkas? Rostow? Mosdok? Wie fühlt sich das an, mit gottgleicher Macht den Tod über unschuldige Menschen zu bringen?« Nachdem er mich eine Weile betrachtet hat, weist er in Richtung der Pferde. »Komm.«
    Einer seiner Männer hilft ihm auf einen Fuchs mit einer Blesse zwischen den Augen. Im Sattel scheint Abreg für einen Augenblick wieder ganz der alte, als hätte sich die bebende Muskelkraft des Pferdes auf seine kaputten Knochen übertragen; aber dann macht das Tier einen unerwarteten Sprung nach vorn, und er fährt zusammen. Er tätschelt ihm den Hals und beruhigt es. Aus einer Scheide am Sattel zieht er ein Mosin-Nagant-Gewehr, legt es sich auf den Schoß und überprüft, ob es geladen ist. Sein Gehstock wandert in die Scheide.
    Von dem narbenbedeckten Jungen angetrieben besteige ich einen wild dreinblickenden Rotschimmel, der tänzelt und schnaubt, sobald ich im Sattel sitze. Sein Bruder gibt die Waffe ab, springt hinter mich auf das Pferd und fesselt meine behandschuhten Hände. Ich spanne die Muskeln so gut es geht an; als er fertig ist, bewege ich die Hände ein wenig, um das Seil zu lockern, sodass ich genug Spielraum habe und nicht einen meiner Finger an den Frost verliere. Einer der Männer zündet eine altmodische Laterne an, und wir folgen ihm hintereinander in die Dunkelheit zwischen den Bäumen, Abreg direkt hinter dem Laternenträger, dann ich, danach die anderen. Wie viele es sind, kann ich nicht mit Sicherheit sagen, aber mindestens sechs.
    Pulvriger Schnee fällt, kaum mehr als ein Nieseln. Ich bin der Kälte entsprechend gekleidet und bearbeite weiter das Seil, aber trotzdem werden meine Hände schnell taub. Bald reiten wir direkt unter einer Kammlinie entlang – so viel kann ich gerade noch am Steigungswinkel des Bodens erkennen – , aber ohne die Sterne zu sehen, habe ich keine Ahnung, in welche Richtung es geht. Stunden vergehen. Wir arbeiten uns immer weiter den Berg hoch.
    »Siehst du die Dinge mittlerweile anders, Volkovoj?« Der Wind trägt mir Abregs Stimme zu. »Verstehst du inzwischen, wie sinnlos es ist, was in Tschetschenien geschehen ist?«
    Sternenlicht dringt durch eine Lücke in den Wolken und spiegelt sich matt auf dem Lauf von Abregs Gewehr und, als ich mich umdrehe, auch auf anderen Gewehren sowie den dickeren Rohren und Sprengköpfen von Panzerfäusten. Zur Talseite hin fällt unser schmaler Pfad in die Dunkelheit ab.
    »Ein Mann wie ich leidet nicht an Zweifeln, Abreg.«
    Der Rotschimmel reißt den Kopf hoch und schnaubt. Die Sterne verschwinden wieder, als die Wolken sich verdichten, aber vorher sehe ich noch, wie Abreg einen Blick nach hinten wirft.
    »Wem lügst du hier etwas vor, mir oder dir?«
    Vor uns leuchtet ein diffuser gelber Fleck – unser Anführer hat angehalten und wartet darauf, dass die anderen aufschließen.
    »Erinnerst du dich an unser Gespräch?« Diesmal sieht Abreg sich nicht um. Im Licht der Laterne steigt eine Dampfsäule vor ihm auf. »Das letzte, vor der Sache mit deinem Fuß?«
    Bei unserer letzten Unterhaltung ging es um dasselbe Thema – Gerechtigkeit in Tschetschenien – , obwohl ich mich kaum daran erinnere, weil mich wahnsinniger Hunger und Schmerzen plagten und weil danach so viel passiert ist. Er versuchte mir damals zu erklären, dass er nicht der sei, für den man ihn halte, und dass die Russen jede Menschlichkeit zerstörten. In anderen Worten: die übliche Propaganda.
    »Nein.«
    Wir reiten

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