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Im Schatten des Kreml

Im Schatten des Kreml

Titel: Im Schatten des Kreml Kostenlos Bücher Online Lesen
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mir braucht sie nichts vormachen. Nicht nur, weil sie es war, die im Lagerhaus von Kombi-Oil Fragen gestellt und vom Empfang meines Begleitservices aus Charlie angerufen hat, sondern vor allem, weil Maxim nie zwei Nächte mit demselben Mädchen verbringt. Aus ebendem Grund, aus dem er regelmäßig seinen Arbeitsplatz verlagert, wechselt er auch die Mädchen. Dass sie hier ist, bedeutet, dass sie mehr als nur eine Prostituierte ist.
    Als unsere Blicke sich treffen, erkenne ich dasselbe kalte Schimmern wie beim letzten Mal.
    »Ruf die Wachleute unten an und sag ihnen, dass ich spazieren gehe«, fordert Maxim sie auf. Falls er enttäuscht über meine fehlende Reaktion auf Mei ist, lässt er es sich zumindest nicht anmerken.
    Er führt mich hinaus, und wir überqueren die Brücke und wandern am Uferdamm der Moskwa entlang. Der große Mann schnauft wie eine Dampflok, seine Bodyguards trotten in einiger Entfernung hinter uns her wie Güterwaggons. Sein Gesicht ist rot vor Kälte und Wind, aber hier draußen scheint er sich wohler zu fühlen.
    »In hundert Jahren werden wir uns aus anderen Gründen töten«, sagt er. »Aber im Moment zählt nur eine Art von Weltpolitik. Petropolitik. Die Pipelines sind die Lebensader der Öl – und Gaswelt. Wenn du sie zudrehst, was glaubst du, wie lange dann alles andere weiterläuft? Und warte erst mal ab, bis die Wahnsinnigen im Iran Selbstmordattentäter auf die Tanker im Persischen Golf loslassen.«
    Kurz bevor wir den Roten Platz erreichen, bleibt er stehen. Einer seiner Männer stürzt mit einem Becher auf uns zu. Maxim zieht den Deckel ab, kippt sich die Hälfte der heißen Brühe in den Hals und schmatzt laut.
    »Nicht nur das Kaspische Meer, Kasachstan und Turkmenistan, Volk. Sibirien auch. China und Japan wollen ebenfalls mehr. Und die USA. In welche Richtung baut der Kreml neue Pipelines? Vielleicht in beide, aber bezahlen müssen sie alle.«
    Die Chinesen kommen euch zuvor. Wieder Matthews Worte, doch ich glaube nicht, dass er mir damit etwas Bestimmtes mitteilen wollte. Ich schätze, aus ihm sprach die Angst der Amerikaner vor einem russisch-chinesischen Bündnis. Sie fragen sich: Wird sich Russland Asien oder Europa zuwenden? Ich glaube, niemand weiß eine Antwort darauf. Unsere kulturelle Identität ist so vielschichtig, dass wir uns manchmal selbst über unsere Zugehörigkeit nicht mehr ganz im Klaren sind.
    Maxim hat es mir durch Mei ausrichten lassen, und jetzt hat er es mir noch einmal erklärt: Öl ist der Schlüssel. Es ist sein Weg in die Legitimität. Alls andere ist zweitrangig. »Wie lange hast du schon deine Finger im Spiel?«
    »Seit Jahren. Ich habe dir gesagt, der Lebensmittelmarkt gibt nicht genug her. Baku ist meine Heimatstadt. Ich kann von dort das Kaspische Meer kontrollieren. Und mein Einfluss erstreckt sich auf viele andere Bereiche. Die Guerillas im Kaukasus, die Opiumbauern in Afghanistan. Ich verkaufe Waffen an die Mullahs im Iran, vertreibe Weizen in der gesamten Föderation, liefere Drogen nach Moskau und St. Petersburg. Ich habe nicht so viel Macht wie der Kreml, aber genug, um meinen Teil vom Kuchen abzukriegen. Jetzt bin ich an der Reihe.«
    Er guckt mich an, ohne mich wirklich wahrzunehmen. Ich schätze, er stellt sich gerade die Gesichter der Leute vor, die er zu seinen Verbündeten machen kann, wenn es darum geht, über Frieden oder Krieg zu entscheiden. Er sieht Handelsrouten, Vertriebswege, kontrollierte Märkte und Einigungen in langjährigen Konflikten. Er sieht, wie mir plötzlich beunruhigenderweise klar wird, die Welt in einem ganz anderen Licht und im Zusammenhang eines Kräftemessens, bei dem ich ihn nie für einen Mitspieler gehalten hätte.
    »Wer hat den Anschlag auf das AMERCO-Gebäude verübt?«, frage ich.
    »Das ist dein Job. Sag mir Bescheid, sobald du es weißt.«
    »Wer hat dir verraten, dass es mein Job ist?«
    Er trinkt den Kaffee aus, ohne zu antworten. Ein Bus rauscht an den Bordstein, die Bremsen jaulen protestierend auf. Ein Stück weit entfernt auf dem Bürgersteig stößt ein Mann mit einem von Maxims Bodyguards zusammen, stolpert, will etwas sagen, hält dann aber den Mund und eilt weiter.
    »Warum wurde er verübt?«
    Maxim wirft seinen Becher in den Fluss. Wir beobachten, wie er sich dreht und in der Strömung treibt, bevor er von einem Wirbel erfasst wird. Er stößt eine Dampfwolke aus, dann noch eine. »Wenn du das herausgefunden hast, komm zu mir, und wir reden weiter über Politik«, entgegnet er und trottet

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