Im Schatten des Kreml
Monitor sieht, runzelt er die Stirn. »Kein Interesse an Kombi-Oil.«
»Sondern?«
An den Schattierungen des Lichts auf seinem Gesicht erkenne ich, dass der General verschiedene Fenster überfliegt. Mehrere Minuten vergehen so.
»Laut Energieministerium würden der China National Petroleum Corporation eventuell zwanzig Prozent der Ölbestände von Yukos angeboten, die siebzehn Prozent unserer Reserven besitzen.«
»Zu welchem Preis?«
»Das steht hier nicht. Könnte aber ein ziemliches Trostpflaster sein.«
»Was hätte der Kreml davon?«
»Einen gewaltigen neuen Markt. Ein Gegengewicht zur Macht der Amerikaner. Die Sicherheit, dass Russland weiterhin Knotenpunkt von Energietrassen bleibt. Ein Druckmittel für die Zukunft, für den Fall, dass China aus der Reihe tanzt.«
Der General zieht jedes Wort in die Länge. Er überfliegt immer noch die Fenster auf seinem Computer, bis er bei etwas landet, das ihn längere Zeit innehalten lässt.
»Die Polizeiinspektorin in Wladimir – Olga? – hatte recht. Kombi-Oil kontrolliert die Vertriebsfirma, der das Lagerhaus gehört.«
Das Gesicht des Generals leuchtet blau, dann weiß, dann wieder blau. Er liest etwas auf dem Monitor und seine Augen springen von einer Ecke zur anderen. Schließlich bleibt sein Blick an einem Punkt hängen.
»Was hast du gesagt, wird von dort verladen?«
»Eier aus Holz und Elfenbein, lackierte Schachteln, Schachspiele, so was in der Art.«
»Wie groß kann so ein Unternehmen sein?«
»Ich kann Ihnen nicht ganz folgen.«
»Sah das Lager so aus, als hätten sie viel zu tun?«
»Es war halb leer und unbewacht: kurz davor, den Bach runterzugehen. Und als Melniks Leiche dort abgeladen wurde, war es eine Woche lang geschlossen.«
Er nickt in Richtung Monitor. »Im Bericht eines Unternehmenssegments von Kombi-Oil steht etwas über deren Vertriebstätigkeiten. Ihnen gehören dieses Lagerhaus und noch fünf andere. Man muss ein bisschen nachforschen, aber alles in allem hat der Laden jährliche Einkünfte von fast einer Milliarde Dollar.«
»Das ist eine Menge Nippes.«
»Das ist eine Menge Cash, die sich irgendjemand in die Tasche steckt.«
Er rückt vom Bildschirm weg und sieht mich an. Dann greift er nach dem Telefon und flüstert etwas in den Hörer. Nachdem er aufgelegt hat, verkündet er: »Bankunterlagen. In ein paar Minuten dürften wir eine Antwort haben.«
Der General führt noch ein paar Telefonate, während ich anfange, in den Akten zu lesen, die er mir gegeben hat. Ich weiß nicht, worum es in seinen Gesprächen geht. Seinen Teil bekomme ich natürlich mit, aber er gibt hauptsächlich einsilbige Antworten, aus denen ich nicht recht schlau werde.
Hutsul fing im Oktober 1993 als Generalmajor eines Panzerbataillons an, das zum Einsatz gerufen wurde, als Jelzin die 125-mm-Kanonen gegen die oppositionellen Volksdeputierten richtete, die sich im Weißen Haus, dem Parlamentsgebäude, verbarrikadierten. Eine der Belohnungen, die Hutsul für seine Rolle in der Affäre erhielt, war ein Sitz im Aufsichtsrat von Kombi-Oil.
Der General beendet sein letztes Telefonat. »Warte hier«, sagt er und verschwindet durch die Hintertür. Ich sehe ihm nach und frage mich, was er mit unseren Erkenntnissen anfangen will, dann öffne ich die Kombi-Oil-Akte.
Wie viele der größten russischen Privatkonzerne verfügte Kombi-Oil in den frühen Neunzigern, als es gegründet wurde, über ein unbedeutendes Vermögen, wuchs dann aber schnell, als seine Chefs einem bewährten Schema folgten: Vermögen ansammeln, vorzugsweise in Form ehemaliger staatseigener Holdings, mithilfe von Gewalt oder politischer Macht. Politiker und Verwaltungsbeamte bestechen, um sich folgende Vergünstigungen zu verschaffen: freie Versorgungswege, zollfreier Warentausch sowie keinerlei Vorschriften über Feinheiten wie Sicherheit, Qualität oder korrekte Gewichte und Maße. Hinzu kommt das Schmieren der Polizei, damit sie tatsächliche oder potenzielle Konkurrenten verhaftet. Innerhalb weniger Jahre besaß Kombi-Oil große Anteile sibirischer und kaspischer Öl – und Gasreserven sowie ein ausuferndes Vertriebsnetzwerk. All das wird auf mehreren Seiten dokumentiert und erläutert. Erst als ich ganz hinten angelangt bin, fügt sich das letzte Teil des Puzzles ins Gesamtbild.
Neben Hutsul hat Kombi-Oil acht weitere Vorsitzende. Einer davon ist Filip Lachek.
Mir fällt Valjas Bemerkung ein, Abreg würde mit einem mächtigen Mann im Kreml Zusammenarbeiten. Ich verstehe immer
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