Im Schatten des Kreml
gespuckt. »Woran arbeitest du gerade?«
»Nichts. Ein Projekt.«
Er wirbelt den Dolch herum wie einen Drumstick und fixiert ihn, damit ich meine Antwort noch mal überdenken kann.
Und da dämmert es mir, dass ich ein Idiot war. Der große Aseri hat seine Finger überall drin. Er weiß alles, unter anderem, warum ein Mann wie Marko Hutsul eine der vermeintlichen Geiseln im explodierenden AMERCO-Gebäude war und warum Hutsuls riesige Ölgesellschaft Kombi-Oil sich mit einem schäbigen Lagerhaus in Wladimir abgibt.
»Hast du von Kombi-Oil gehört?«, frage ich ihn.
Er runzelt die Stirn, meine Frage ist zu dumm, um sie zu beantworten.
»Das ist etwas Persönliches. Es geht nicht um Geld.«
»Kein Geld?« Sein Lachen kommt von ganz weit unten, ein tiefes Poltern wie ein Erdbeben. Der Dolch blitzt kurz auf und ist gleich darauf verschwunden. »Okay, kein Geld.«
»Was ist daran so komisch?«
»Kombi-Oil hat genug Öl und Gas, um die Welt jahrelang damit zu versorgen. Und sie haben Anteile an Stromnetzen, Raffinerien, Tankstellen und Pipelines – verstehst du, was ich sagen will? Wie zum Teufel, glaubst du, bewegt sich das Öl?«
Putin geht für Öl über Leichen, hat Matthews gesagt. Er kann Europa in die Knie zwingen, indem er Transneft einen Tag lang die Pipelines zudreht . Ich habe seine Worte gehört, aber was er mir damit mitteilen wollte, ist mir entgangen.
»Durch irgendeine spezielle Pipeline?«, schlage ich vor.
»Viele. Drei allein von den Ölfeldern des Kaspischen Meeres. Die Richtung Norden schießt hoch in die Ukraine. Die in der Mitte führt zum Schwarzen Meer. Und die südliche endet am Mittelmeer.«
Er stochert mit seinem zerklüfteten Daumennagel zwischen den Zähnen herum. Der Nagel ist für den Nahkampf spitz gefeilt, obwohl ich mir nicht vorstellen kann, dass irgendjemand bereit wäre, Mann gegen Mann mit ihm zu kämpfen.
»Was ist los, Volk?«
»Die im Norden...«
»Ist nicht sonderlich groß, sie transportiert vielleicht hunderttausend Barrel am Tag. Sie muss erweitert werden, und sie braucht Stromnetze und Raffinerien. Das bedeutet, da wird eine Menge Geld hineingepumpt, noch bevor mehr Öl fließt.«
»Wo genau verläuft sie?«
»Von meiner Heimatstadt Baku nordöstlich durch Dagestan, Tschetschenien, Inguschetien ... musst du noch mehr wissen?«
Die Sache ist klar. Nachdem sie Aserbaidschan verlassen hat und bevor sie in die Ukraine kommt, verläuft die Pipeline durch russisches Territorium – ein ganzes Stück davon im umkämpften Kaukasus, der aber immer noch zu Russland gehört und auch so schnell nicht unabhängig sein wird.
»Was ist mit den anderen beiden?«
»Von Baku aus ans Schwarze Meer und ans Mittelmeer, aber an keiner Stelle auf russischem Boden. Beide sind im Kreml nicht unbedingt beliebt.«
Der große Aseri sieht mir fest in die Augen. Es kommt mir vor, als würde ich in die Tiefen eines Ofens blicken, so hell lodern seine Emotionen.
»Da ist noch mehr«, sagt er. »Viel mehr. Die USA, Europa und Georgien wollen eine Pipeline unter dem Kaspischen Meer bauen, um turkmenisches und kasachisches Gas nach Europa zu befördern. Russland will es durch russisches Territorium leiten und ist bereit, so gut wie alles dafür zu tun: ein Atomkraftwerk in Kasachstan, eine kasachisch-russische Urananreicherungsanlage in Sibirien.«
Maxim lehnt sich in seinem Stuhl zurück und beobachtet, wie ich seine Informationen verarbeite. Er wirkt fast ein bisschen traurig, mit seinen wulstigen Augenbrauen.
»Was glaubst du, warum sie Männer wie dich zum Kämpfen in die Berge schicken, Volk?«
31
Maxim mustert mich mit seinen Krokodilsaugen so eindringlich, als könne er dem Lauf meiner Gedanken folgen, während ich versuche, das, was er gerade gesagt hat, mit dem in Beziehung zu setzen, was ich bereits weiß. Brock Matthews repräsentiert die amerikanische Regierung, zumindest einen Teil davon. Lachek handelt in eigener Sache, nehme ich an, genau wie Maxim – zwei unterschiedliche Ausprägungen desselben Menschenschlags, der nach all den Jahren immer noch mit der primitiven Anhäufung postsowjetischen Kapitals beschäftigt ist. Wie viele sind noch darin verstrickt?
»Lass uns einen Spaziergang machen.« Offenbar immer noch auf meine Reaktion lauernd, brüllt er: »Mei!«
Das verschlafene asiatische Mädchen, dessen Lächeln bis zu den Augen reicht, kommt durch eine offene Tür auf uns zu. Sie trägt einen Hotel-Bademantel und sonst nichts, soweit ich das beurteilen kann; aber
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