Im Schatten des Kreml
das Ende der Kette. Vielleicht haben wir es mit jemandem zu tun, der sehr viel höher steht.«
»Ich glaube nicht, dass es noch sehr viel höher geht.«
»Als wir im Archiv waren, habe ich mehr als ein Dutzend Akten durchgesehen, bevor ich das Nummernsystem durchschaut habe. Wissen Sie, welcher Name immer wieder auftauchte? Konstantin.«
Konstantin war eine legendäre Figur des Kalten Krieges, der Stalin und mehrere seiner Nachfolger überdauerte. Sein Name wurde so oft zitiert, dass er irgendwann zum Symbol für die heimliche Macht im Kreml wurde. Man nannte ihn dann, wenn keine Namen fallen durften. Er wirkt immer noch bedrohlich, selbst auf mich.
»Konstantin ist lange tot. Verschwenden Sie nicht ihre Zeit damit, Geistern nachzujagen. Versuchen Sie, so viel wie möglich über das Lagerhaus herauszufinden. Wem es gehört, welche Firma die Eier herstellt, die dort vertrieben werden – tun Sie, wozu Sie ausgebildet wurden, ermitteln Sie. Es sei denn, Sie glauben, das Lagerhaus und das Ei unter Dubinins Gesicht sind ein Zufall.«
»Ich bin mir nicht sicher, was ich davon halten soll.«
»Gut, bleiben Sie offen für alles. Wir treffen uns zum späten Lunch in Vadim’s Café in Kitaj-Gorod. Dort können Sie mir einen Lagebericht geben.«
Er sieht hinunter auf seinen blutigen Arm. »Das war furchtbar, was mit diesen Typen passiert ist.«
»Wahrscheinlich sind in diesem Augenblick noch zehn von der Sorte hinter uns her. Jeder von denen würde Ihnen ein Messer in die Kehle rammen und eine Stunde später das Klavierkonzert seines Kindes besuchen. Sie sollten sich Ihre Pistole besser unters Kopfkissen legen.«
30
Vom Ararat zum vierunddreißigstöckigen Swissôtel Krasnye ist es ein langer Weg über vereiste Bürgersteige. Aber ich denke, der Spaziergang und die Kälte helfen mir, den Kopf frei zu bekommen für mein Treffen mit dem zum Mafiaboss aufgestiegenen Oligarchen Maxim Abdullaev. Er ist unberechenbar, gerissen und habgierig, die Quintessenz eines Raubtiers. Ich muss auf der Hut sein.
Auf halbem Wege ruft Olga an.
»Hab mit meiner Kollegin gesprochen.« Sie lässt eine Kaugummiblase ins Telefon platzen. »Sie hat wohl ein besseres Gedächtnis als ich. Die Firma ganz oben in der Hierarchie, der das Lagerhaus gehört, heißt Kombi-Oil. Hilft Ihnen das weiter?«
»Vielleicht.« Wieder Kombi-Oil. Marko Hutsuls Firma lauert offenbar hinter jeder Ecke.
Das Swissôtel kommt in Sicht und erhebt sich wie ein flammendes Schwert an der östlichen Spitze der Kreml-Insel zwischen der Moskwa und dem Obwodny-KanaL Ein vorbeifahrender Laster pustet mir seine Abgase ins Gesicht und spritzt kaltes Wasser auf meine Hose.
Olga lässt eine weitere Blase platzen. »War eine Freude, mit Ihnen geredet zu haben, Volk. Sie sind ein toller Gesprächspartner.« Sie legt auf.
Ich überquere die Moskwa und nähere mich dem Eingang des Hotels. Maxims überall gegenwärtige Sicherheitsleute überprüfen mich, einmal vor dem Gebäude und dann im Flur, als ich im vierunddreißigsten Stock aus dem Fahrstuhl steige. Schließlich führt mich ein Bodyguard im schwarzen Anzug in eine überdimensionale Suite.
Maxim thront am Kopfende eines langen Tischs. Die Armlehnen seines Herman-Miller-Bürostuhls sind so weit auseinandergedrückt, dass sie in entgegengesetzte Richtungen zeigen. Er scheint den Stuhl förmlich zu sprengen.
Ich schätze, nach einem guten Essen bringt er an die hundertvierzig Kilo auf die Waage. Borstiges, grau meliertes Haar steht wie Draht von seiner dunklen Haut ab. Seine grauen Augen leuchten hitzig unter den buschigen Brauen, ähnlich dem stürmischen Kaspischen Meer am rauen Ufer seiner Heimatstadt Baku. Valja hat immer gesagt, er erinnere sie an einen almasty, einen Yeti, eine Beschreibung, die perfekt passen würde, wären diese Monster mit seiner scharfen Intelligenz gesegnet.
Acht gut gekleidete Männer sitzen mit ihm am Tisch, winden sich, drehen Stifte zwischen den Fingern und starren auf gelbe Schreibblöcke. Die meisten entsprechen dem gepflegten Erscheinungsbild der neuen Moskauer Kapitalisten – ehemalige kommunistische Bürokraten, die plötzlich zu Reichtum gekommen sind. Die Übrigen wirken wie Ex-Militärs, die ihre Vergangenheit vor weniger geschulten Augen hinter Designeranzügen und einem geschlossenen Auftreten verstecken. Aber der Reichtum hat seinen Preis: Je näher sie der Macht kommen, desto gefährlicher wird ihr Leben. Ein Wort von Maxim, und diese Männer sähen sich Dingen ausgesetzt,
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