Im Schatten des Kreml
die sie bisher nur aus ihrer Vorstellung kennen – oder anderen antun lassen.
Maxim zwingt sie alle nieder, mit einem einzigen angewiderten Blick. Das verschüchterte Schweigen hängt greifbar in der Luft.
»Macht, dass ihr hier rauskommt.« Maxims Stimme klingt so tief wie das Donnern eines fernen Panzers. Seine Lakaien rennen sich fast gegenseitig über den Haufen, so eilig haben sie es. Sie alle vermeiden es tunlichst, mich anzusehen, was klug von ihnen ist. Eine gute Beobachtungsgabe und ein langes Gedächtnis sind nichts, was man zu einem Treffen mit Maxim mitbringen sollte.
Als sie den Raum verlassen haben, schickt Maxim seinen Bodyguard weg und gibt mir ein Zeichen, mich zu setzen. Ich hocke mich auf die Tischkante und sehe mich um. Alles Holz in diesem modern eingerichteten Zimmer ist hochglanzpoliertes Vogelaugenahorn. Wände und Decke sind cremefarben mit zimtbraunen Akzenten; geschickt platzierte Nischen verleihen ihnen Tiefe. Die Fenster bieten einen Panoramablick über die Stadt, den Maxim ignoriert.
»Ich bin völlig im Arsch, Volk.«
Ich verlagere das Gewicht von meinem Stumpf auf das gesunde Bein.
»Ich dachte, Lebensmittel seien das Ding – Getreide, Vieh, Obst und Gemüse. Jetzt nicht mehr.« Er schüttelt den Kopf wie ein Elefantenbulle, kurz bevor er angreift. »Jetzt ist es Energie.«
Mithilfe der Dienste eines hohen Kremlbeamten, ebenfalls ein Aseri, hat Maxim Moskaus Lebensmittelmärkte über ein Jahrzehnt lang im Würgegriff gehalten. Sein Imperium umfasst außerdem Waffenschmuggel, internationalen Menschenhandel und Schlepperdienste, Handel mit Drogen, Pornografie und, neuerdings, Schwarzmarktkunst. Das letzte Mal, als ich mit ihm zu tun hatte, haben wir einen lange verschollen geglaubten Da Vinci aus den Katakomben des Eremitage-Museums gestohlen. Seine Gier und meine Überheblichkeit führten dazu, dass Valja in einem Prager Gefängnis einen Fuß verlor.
»Putin.« Maxim spuckt den Namen aus wie einen Fluch. Das Gestell seines Stuhls knirscht, als er herumfährt, um aus dem Fenster zu sehen, während er weiterspricht. Ich glaube trotzdem nicht, dass er die Aussicht bewundert, sein Blick ist ins Leere gerichtet. »Dieser verdammte Troll ist vom KGB-Speichellecker zur Reinkarnation Stalins geworden. Zwingt ganze Länder in die Knie, indem er die Pipelines zudreht. Und jetzt bringt er seine Freunde an die Macht, damit er weich landen und weiter seine Beziehungen spielen lassen kann, wenn er nicht mehr in der Politik ist.«
Ein juwelenbesetzter Dolch taucht wie durch Zauber in seiner fleischigen Hand auf und fängt an, sich zu drehen. Ich weiß immer noch nicht, warum ich hier bin, obwohl ich eine Ahnung habe. Jemand muss sterben, oder auf die harte Tour überzeugt werden. Die Zweifel, die mich auf meinem holprigen Flug zum AMERCO-Gebäude Umtrieben, nagen noch immer an meinem Gewissen, drohen immer mehr Raum einzunehmen und verändern meine Sicht auf die Welt. Ich bin es leid, alles mit Gewalt durchzusetzen. Ich will so etwas nicht tun, nur damit er noch mehr Geld verdient.
»Alles ist wieder im Wandel.« Er spielt mit dem Dolch in seiner Hand. »Die Regierung sagt, okay, uns ist es egal, wie du es bekommen hast. Eine Hand wäscht die andere. Tust du uns einen Gefallen, kannst du es behalten. Tust du es nicht, nehmen wir es dir mit unserem neuen Gesetz wieder weg.«
Die von Putin kontrollierte Duma hat der Zentralregierung pauschal die Macht übertragen, das Eigentum von »Extremisten« zu beschlagnahmen – was sich von Fall zu Fall auslegen lässt, wie es gerade passt. Stalin nahm sich mit brutaler Gewalt, was er wollte. Im neuen Russland geschieht die Enteignung unter dem Deckmantel des Gesetzes. Bürgerrechtler und Medien schrien laut auf, als das Gesetz verabschiedet wurde, weil sie befürchteten, man würde damit oppositionelle Politiker und die Presse zum Schweigen bringen. Mafija-Kapitalisten wie Maxim wussten wahrscheinlich nicht mal, dass es existiert – bis der Kreml es ihnen um die Ohren haute. Die unangenehmste Überraschung lauert immer da, wo man sie am wenigsten erwartet.
»Die Lebensmittelmärkte sind jetzt offen«, fährt Maxim fort. »Drogen, Waffen und Glücksspiel, damit lässt sich immer noch Geld machen, aber die Konkurrenz ist stärker geworden. An das große Geld kommt man nicht mehr so leicht ran. Ich glaube, ich muss seriös werden.«
»Dabei kann ich dir nicht helfen.«
Er sieht mich an, als hätte ich gerade auf seine neuen Krokodillederschuhe
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