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Im Schatten des Kreml

Im Schatten des Kreml

Titel: Im Schatten des Kreml Kostenlos Bücher Online Lesen
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noch nicht, warum er es getan hat, aber offensichtlich wollte Abreg die Spur auf Kombi-Oil und seine »Gelegenheitspartner« Lachek und Hutsul lenken, als er das Ei unter Dubinins Gesicht platzierte. Das Ei führte uns zum Lagerhaus, einer baufälligen Fassade, hinter der zwei der Direktoren auf Kosten der anderen Gelder abzapfen. Abreg hat sein Ziel erreicht: Jetzt sind Lachek und Hutsul im Fadenkreuz des Generals.
    Eine Stunde vergeht, bis der General wiederkommt. Er wirkt nachdenklich, aber mehr als das kann ich seiner Haltung und seinem Ausdruck nicht entnehmen. »Wir sind an etwas dran«, sagt er. »In ein, zwei Tagen weiß ich mehr, dann melde ich mich.«
    Gerade als ich erwidern will, hier gehe es nicht nur um politische Machtspielchen, sondern um Russlands Zukunft, blinkt eine Lampe an den Telefonen vor ihm, dieselbe, die ihn letztes Mal so beunruhigte. Er schnappt sich den Hörer, ohne etwas zu sagen. Diesmal verengt sich seine Iris nicht zu einem reptilienhaften Blick, aber sein fester Griff um den Telefonhörer verrät seine Anspannung. Innerhalb von Sekunden legt er wieder auf.
    »Das wär’s fürs Erste, Oberst. Ich melde mich wieder.«
    Ich stehe auf. Mein Körper fühlt sich an wie ein einziger kontrahierter Muskel. Die Stimme in meinem Kopf wird immer lauter. Aus meinen Zweifeln wurde die Gewissheit, dass Ideale nichts mehr zählen.
    »Das alles stinkt von vorne bis hinten, General. Diese Soldaten haben etwas Grausames getan, und irgendjemand hat das auf Video aufgenommen. Ich weiß nicht, wie viele von ihnen dieselbe Tortur erwartet, aber es werden mit Sicherheit noch einige sterben. Und den Rest können Sie sich denken. AMERCO, Kombi-Oil, China National Petroleum Company. Sie alle sind darin verwickelt, jeder von ihnen, und wahrscheinlich noch andere. Wissen Sie, was ich denke?«
    Er lehnt sich zurück und betrachtet den feuchten Balken über sich. »Sag es mir.«
    »Russland wird ausverkauft.«

33
    Gerade als ich die Höhle des Generals verlasse, fängt mein Handy an zu blinken. Zwei Nachrichten, Die Anrufe haben mich nicht erreicht, weil die Signale nicht durch den Fels dringen; und wahrscheinlich hat der General noch irgendwelche anderen Sicherheitsvorkehrungen dagegen installiert. Ich gebe das Passwort ein.
    »Barokov hier, Oberst. Wir müssen reden.«
    Die zweite Nachricht ist von Alla. »Die Polizei war hier. Sag Bescheid, wenn ich helfen kann, okay?«
    Ich stehe südlich der Moskwa und sehe die Mittagssonne durch eine Lücke in den dunklen Wölken blinzeln und goldene Strahlen auf die Kuppel des Glockenturms »Iwan der Große« werfen. Ich versuche mich zu sammeln. Ich muss meine weltfremden Ansichten darüber, was richtig und was falsch ist, vergessen und mich aufs Überleben konzentrieren. Ich muss Lachek finden und ihn töten, bevor er mich tötet.
    Das Nokia vibriert. Das Display zeigt Valjas Nummer an.
    »Hey«, sagt sie. Im Hintergrund plärrt die Stimme eines Ansagers über eine Lautsprecheranlage und teilt die Ankunft eines Zuges aus Chassawjurt mit. »Wir haben Semerko verpasst, aber er war hier in Machatschkala, vor weniger als achtundvierzig Stunden.«
    »Wir?«
    »Ein paar Freunde helfen mir. Einer von ihnen steht in Verbindung mit Abreg.« Den letzten Teil flüstert sie, und ich stelle mir vor, wie sie die Hand um das Handy legt.
    »Hatte Semerko Galina dabei?«
    »In der Wohnung bei der Adresse, die du mir gegeben hast, waren drei Männer.« Aus ihrer Stimme klingt Verachtung. »Wahhabiten, wie der Schwarze Araber«, ergänzt sie und meint damit einen grausamen saudiarabischen Söldner, der mittlerweile tot ist. »Die reden nicht von Unabhängigkeit, die reden vom Dschihad, davon, die tschetschenische Kultur umzugestalten, vom Adat hin zur radikalen Scharia. Keiner von denen wollte mir helfen, ein unschuldiges Mädchen zu finden.«
    Adat, der alte gesellschaftliche Kodex der Tschetschenen, der die Beziehungen zwischen Kindern und Eltern, zwischen Ehepartnern und zwischen Freunden und Feinden regelt, wird bald dem Krieg zum Opfer gefallen sein und seinen Platz an das religiöse Gesetzes – und Regelwerk der Scharia verlieren.
    »Und?«
    »Also habe ich sie zur Mitarbeit überzeugt.«
    Valja ist eine Expertin darin, Schwächen zu erkennen und sie auszunutzen. Und in einem Fall wie diesem, wo es um Galinas Leben geht, wird sie keine Rücksicht genommen haben.
    »Sie haben ziemlich schnell mit ihrem Getue aufgehört und angefangen zu reden«, erklärt sie. »Ich habe sie

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