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Im Schatten des Kreml

Im Schatten des Kreml

Titel: Im Schatten des Kreml Kostenlos Bücher Online Lesen
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getrennt, um sicherzugehen, dass ihre Geschichten übereinstimmen. Semerko ist mit Galina nach Tindi gefahren, genau wie du gesagt hast. Ich bin jetzt auf dem Weg dorthin. Wahrscheinlich habe ich dort keinen Empfang.«
    Über die Lautsprecheranlage kommt eine neue Ansage, aber ich verstehe kein Wort. Mir wird bewusst, dass das, worum ich sie gebeten habe, äußerst gefährlich ist. Sie war schon vorher in Gefahr, aber jetzt ist sie es durch mich noch mehr. Ich muss unbedingt mit Barokov sprechen und sehen, ob er etwas Neues herausgefunden hat.
    »Sei vorsichtig, Valja.«
    »Ja, ja«, entgegnet sie. »Sei lieber du vorsichtig.«
    Inspektor Barokov muss mehrere zerknitterte braune Anzüge besitzen, denn als ich sein winziges Büro betrete, trägt er schon wieder einen. Ich nehme ihm gegenüber Platz und stoße mir die Knie an seinem Schreibtisch. Draußen ist es dunkel, Sturmwolken haben die Sonne überschattet, und in der Wache zieht es. Der Gruppenraum ist leer bis auf einen Polizisten, der mit dem Kopf auf den Armen über einem der Tische schläft.
    Barokov lässt die Tür offen, damit der Raum größer wirkt. Ein Schulterhalfter, in der eine Glock steckt, hängt über der rissigen Rückenlehne seines Stuhls. Ein Foto in einem vergoldeten Rahmen zeigt ihn vor dem Moskauer Zirkus, einen Arm um die Hüfte einer Frau geschlungen, die einen Kopf größer ist als er, und die Hand stolz auf der Schulter eines Jungen mit Wangen so rot wie seine. Er sieht glücklich aus auf dem Bild, das ich beim ersten Mal übersehen habe. Aber jetzt ist er aufgebracht.
    »Ich habe die ganze Zeit versucht, Sie zu erreichen, seit wir gestern Abend unterbrochen wurden.«
    Wir wurden nicht unterbrochen. Ich habe aufgelegt, weil mir die Antwort auf seine Frage nach Rjasan nicht gefällt und ich nicht weiß, was ich in dieser Sache ausrichten kann. »Sie sollten der linken Propaganda über die Anschläge auf die Wohnhäuser keinen Glauben schenken«, fertige ich ihn wie üblich ab.
    Er hält meinem Blick einige Sekunden lang stand und senkt dann die Augen, im Gegensatz zu mir. »Darüber will ich aber eigentlich gar nicht mit Ihnen sprechen. Ich brauche Ihre Hilfe.«
    Er wühlt nach einem Fax in einem Stapel auf seinem Schreibtisch und hält es dann in Armlänge vor sich hin, um daraus vorzulesen. »Semerko und seine jüngere ›Schwester‹ sind am neunten Januar um 16:35 durch den Bahnhof von Machatschkala gekommen. Vor drei Tagen. Er hat seine Papiere vorgezeigt, aber natürlich hat sich niemand die Mühe gemacht, die Geschichte mit dem Mädchen zu überprüfen.«
    Barokov legt das ölige Papier zurück auf den Tisch, ohne noch etwas zu ergänzen. Er sieht mich einfach mit großen Augen an, als erwarte er etwas. Ich hüte mich davor, Valja zu erwähnen, nicht, weil ich ihm nicht trauen würde, sondern weil ich den Leuten, denen er es erzählen könnte, nicht traue. Und ich bin enttäuscht, weil meine Hoffnung, er könnte etwas Nützliches herausgefunden haben, umsonst war. Valja hat sehr viel mehr erreicht als er.
    »Und?«
    »Sie kennen doch Leute dort, oder? Sie haben doch dort gedient.«
    »Keine Polizisten.«
    Er nimmt einen Briefbeschwerer in Form einer Pyramide in die Hand und lässt ihn kreiseln. »Ich stoße auf wenig Entgegenkommen da unten«, sagt er leise und betrachtet den Briefbeschwerer. »Ich habe angerufen, gemailt und gefaxt, ihnen Bilder von Galina und Semerko geschickt. Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass ich niemanden finden konnte, der zu mehr als einem Lippenbekenntnis bereit war.«
    Als er endlich aufblickt, erkenne ich Verlegenheit und Traurigkeit über das Versagen seines Berufsstands in seinen Augen. Die Sowjets machten Familie, Freunde und Nachbarn zu Informanten. Jeder überwachte jeden. Am gefährlichsten waren die Selbstgerechten, Kleingeistigen und Verbitterten – all jene, die glaubten, sich mithilfe einiger geflüsterter Worte, ob wahr oder unwahr, ihrer läppischen Kümmernisse entledigen zu können, Worte, die ihre Feinde in schlimme Bedrängnis brachten. Sie waren die beste Polizei der Welt. Als die institutionalisierte Härte des sowjetischen Alltags in sich zusammenbrach, hatten wir plötzlich kein Bezugssystem mehr. Verbrechen waren allgegenwärtig, die Polizisten ein Haufen lausiger Ermittler, die Richter schreckliche Schiedsmänner und die Gefängnisse zu schlecht ausgestattet, um mit echten Kriminellen fertig zu werden. Korruption und Inkompetenz füllten die klaffenden Lücken. Männer wie

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