Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Im Schatten des Kreml

Im Schatten des Kreml

Titel: Im Schatten des Kreml Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren:
Vom Netzwerk:
Barokov schämen sich dafür.
    Er lässt den Briefbeschwerer mit einem Knall fallen und lehnt sich, auf die Fäuste gestützt, über den Tisch. »Wir haben es mit einem Serienkiller zu tun, Oberst. So wie unser Ripper von Rostow, und bei ihm waren es mehr als fünfzig, bis sie ihn erwischt haben. Ich nehme an, dieser Junge, dieser Semerko, fängt gerade erst an, aber was er dem Mädchen, Tanja, angetan hat, war das Schlimmste, was ich je gesehen habe. Ich kann nachts nicht schlafen, weil ich so eine verdammte Angst um Galina habe. Bei jedem, der mir auf der Straße begegnet, denke ich, er hat Blut an den Händen.«
    Er zittert vor unterdrückten Emotionen. Seine linke Schulter und die Wange zucken bei jedem Wort.
    »Dann kommen Sie plötzlich mit diesem Stück Seil, und stellen Sie sich vor, es passt. Selber Hersteller, selbe Marke, selbe Färbung – einfach ein anderes Stück vom selben Seil. Und Ihre Vermutung, dass Semerko in den Süden gegangen ist, hat sich ebenfalls bewahrheitet. Ich habe ihn direkt im Visier, aber es ist kein Geld da, damit ich nach Dagestan fahren kann, und die Behörde vor Ort rührt auch keinen Finger, solange sie nicht bezahlt wird. Die wollen Blutgeld. Und das sollen Polizisten sein?«
    Barokov greift schwer atmend über den Tisch und umklammert meinen Arm direkt über dem Ellbogen. »Sie haben die Mittel, Oberst. Fahren Sie runter und finden Sie das Mädchen!«
    Mein Respekt für ihn ist erheblich gestiegen, genug, um mir zu sagen, dass er es wert ist, informiert zu werden. »Ich habe jemanden in der Gegend«, erkläre ich. Valja ist inzwischen sicher schon auf dem Weg nach Tindi und lange weg aus Machatschkala. »Sie tut, was sie kann. Wenn sie Galina findet und meine Hilfe braucht, werde ich da sein.«
    »Wirklich?«
    Ich muss gehen. Ich ertrage es nicht, ihn neue Hoffnung schöpfen zu sehen. Er begleitet mich hinaus, und ich bleibe auf dem Bürgersteig stehen, wo der Schatten des Gebäudes auf sein Gesicht fällt. Rechts von uns bläst ein Gitter warme Luft auf eine Menschenansammlung vor einem Getränkeladen. Zigarettenqualm vermischt sich mit Autoabgasen und verpestet die Luft. Eine blaue amerikanische Limousine mit einem gigantischen, spitz zulaufenden Kühler parkt in zweiter Reihe auf der anderen Straßenseite, der laufende Motor stößt Rauchwolken auf. Der Verkehr zwängt sich schubweise daran vorbei, unterbrochen von Fußgängern, die einfach über die Straße laufen.
    Barokov holt eine Schachtel Sobranies aus der Tasche, schüttelt eine heraus und lässt sie zwischen den Lippen baumeln, während er sie anzündet. »Wer ist diese Frau, die sie da unten kennen?«
    Wie soll ich so eine Frage beantworten? Valja ist meine Freundin, meine Geliebte, meine Vertraute, mein Schutzengel; sie ist ein Flüchtling, eine Kämpferin, eine Frau, die an Widrigkeiten wächst.
    »Eine Freundin«, antworte ich.
    Er stößt einen Rauchkringel aus, und wir sehen ihn sich im diesigen Licht auflösen. »Diese verdammte Stadt«, sagt er. »Dieses Land. Vielleicht war es besser so, wie es früher war.«
    »Die Erinnerung spielt uns so manchen Streich, Inspektor.«
    Nachdem ich ein kleines Nickerchen gehalten habe, tischt Vadim Golko und mir ein frühes Abendessen aus Borschtsch und getoastetem Schwarzbrot mit Schafskäse und Salami auf. Golkos Arm ist so dick verbunden, dass es aussieht, als sei er abgerissen und dann wieder angeklebt worden. Ich ziehe die Augenbrauen hoch, und wie um sich zu rechtfertigen, sagt er: »Der Arzt meinte, zwei Zentimeter weiter rechts, und ich hätte ihn verloren.« Während ich esse, legt er zwei computergenerierte Karten auf den Tisch, beide von einer roten Zickzacklinie durchzogen.
    »Das sind die Aufzeichnungen über die Fahrten des Mercedes an Dubinins letztem Tag.« Er hält ein Bündel Papiere hoch. »Hier stehen Orte und Zeiten aufgelistet.«
    Ich schiebe mir einen Löffel Borschtsch in den Mund und nicke ihm zu.
    »Aus dieser Karte geht hervor, dass Dubinin von Moskau nach Wladimir fuhr. Diese hier ...«, er breitet die zweite Karte über die erste, »ist in größerem Maßstab, hier sieht man, wo er in Wladimir lang gefahren ist.« Sein fleischiger Zeigefinger zerknittert das Papier. »Dort hat der Wagen eine Stunde lang geparkt.«
    Meine mit Brot, Käse und Salami beladene Hand hält auf halbem Weg zum Mund inne. Ich nehme ihm die Zettel aus der Hand und suche nach der Adresse, nur um mir selbst zu bestätigen, was ich bereits vermute. Golkos abgekauter

Weitere Kostenlose Bücher