Im Schatten des Kreml
Flammen des Werdens und des Vergehens an. Vielleicht können Valja und ich Galina gemeinsam aus dem Feuer retten.
Valja. Wo immer sie ist, was immer sie braucht, ich werde für sie da sein.
Das sind die Dinge, die jetzt zählen.
Der General hat mich beobachtet. Ich bin mir sicher, dass er mich ebenso gut zu kennen glaubt, wie ich glaubte, ihn zu kennen. Ich brauche nur etwas Überzeugungsarbeit. Er rückt mit seinem Stuhl näher und wiederholt seinen Rat.
»Kümmere dich um das, worauf du Einfluss hast.«
»Und das wäre?«
»Zwei Gigabyte. Zwei verdammte GBs.«
»Das Video? Das ist es, was Sie interessiert?«
»Es war zu der Zeit, als du bei den Tschetschenen in der Grube gesessen hast. Eine Einheit der inneren Truppen schnappte damals eine Gruppe von Rebellen.« Er spricht langsam, meine Reaktion abwartend. »Fast zweihundert, ein Drittel davon Frauen, mehrere Kinder. Kurz zuvor hatten wir schreckliche Verluste in...«
»Unsinn! Erzählen Sie mir doch nicht so was! Da war kein Haufen Hitzköpfe, die sich rächen wollten.«
»Denk daran, was das für eine Zeit war, Volk! Die Rebellen versteckten sich inmitten braver Familien. Zwölfjährige töteten mit Kalaschnikows, die sie kaum tragen konnten. Ich sage nicht, dass unsere Leute im Recht waren, ich sage nur, dass man das nicht nur von einer Seite aus betrachten darf. Wer hatte schon die Zeit, zwischen Kämpfern und Zivilisten zu unterscheiden?«
»Sie wurden nicht im Kampf geschlagen, sie wurden bei einem Filtrationslager verschleppt.«
»Woher willst du wissen, dass das stimmt? Weil Lügner wie Abreg und Ravi Kho und seine verwöhnte amerikanische Freundin das behaupten?«
»Weil so viele Leute bereit sind, dafür zu töten. General, wir kennen das doch von den Filtrationslagern – vielleicht in kleinerem Ausmaß, aber es ist derselbe Dreck.«
Wieder fängt er an, sich mit den Daumen die Schläfen zu massieren, bis die Haut weiß wird. Er hat die Augen geschlossen. Ich glaube nicht, dass er mir beim letzten Mal etwas vorgespielt hat, aber diesmal schon. Er wirkt eher aufgeregt als besorgt.
Und dann kommt mir ein anderer Gedanke: Dubinin war ein einfacher Soldat, so wie Melnik und der Junge im Rostower Leichenschauhaus, und er wurde auf dieselbe Art und Weise und aus denselben Gründen getötet. Hätte er einer Spezialeinheit angehört, dann hätte das in seiner Akte gestanden.
»Sie wussten über Starye Atagi Bescheid. Sie wussten, dass Dubinin dort war.«
»Ich wusste von seiner Abkommandierung. Auf die Gerüchte habe ich nicht gehört.«
Er sieht weg, und ich merke, dass ihm Dubinins vergangene Entgleisung schwer zu schaffen macht. Nicht in dem Sinne, wie ein Vater von seinem Sohn enttäuscht ist, sondern weil sich hierin zeigt, wie verwundbar seine Organisation ist.
»Was ist dort passiert?«
»Sie haben die Kontrolle verloren. Und sie alle niedergemetzelt. Es dauerte fast zwei Tage, bis der Letzte tot war.« Die Worte scheinen nachzuklingen, nachdem er sie ausgesprochen hat, als wollten sie nicht unerhört bleiben, genauso wenig wie die Taten, die sie beschreiben.
»Haben Sie das Video gesehen?«
»Ich habe jemanden gesprochen, der einen Teil davon gesehen hat.«
»Eine Einheit der inneren Truppen hätte nicht unter Ihrem Kommando gestanden, General. Das ist nicht Ihre Sache.«
»Das weiß ich, verdammt! Glaubst du, hier geht es um mich?«
Er springt von seinem Stuhl auf und fängt an, im Raum auf und ab zu laufen. Er scheint wahnsinnig aufgebracht. Aber es hat immer noch etwas Gekünsteltes. Ein undefinierbares Gefühl verströmt sein Gift in meinem Kopf. Es kommt mir vor, als wären die Mundwinkel des Generals zu einem Siegeslächeln hochgezogen.
»Diese Schwachköpfe haben unseren Feinden genügend Munition geliefert, um uns zu vernichten. Die westlichen Medien, die Vorzeigediplomaten bei der UNO, die abtrünnigen Republiken – ganz zu schweigen von tschetschenischem Abschaum wie Abreg. Das ist etwas, das wir uns in der Öffentlichkeit nicht erlauben dürfen.«
»Sie haben alles auf Video. Wahrscheinlich digital. Das Ding ist vielleicht eine Million Mal kopiert worden, und wir können so oder so nichts dagegen machen. Ich kann mir kaum vorstellen, dass es nicht schon überall im Internet steht.«
Die Kiefermuskeln kräuseln die Haut unter seinen Ohren, das einzig sichtbare Anzeichen dafür, dass er keine Lust hat, mit mir zu streiten. »Wenn wir eine Kopie davon bekommen, können wir kontrollieren, was passiert. Bis dahin haben
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