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Im Schatten des Mondkaisers (German Edition)

Im Schatten des Mondkaisers (German Edition)

Titel: Im Schatten des Mondkaisers (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Perplies
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weiterer Hieb – und es wurde dunkel um ihn.

Kapitel 23
    A ls Carya an diesem Abend an die Tür zu Cartagenas Gemächern klopfte, lag in der Geste bereits spürbarer Missmut. Den ganzen Tag hatte sie versucht, den Botschafter zu treffen. Sie wollte das Gespräch fortsetzen, das gestern beim Abendessen unterbrochen worden war. Ärgerlicherweise war Cartagena ständig unterwegs gewesen. Der Mann schien bei Hofe eine gefragte Persönlichkeit zu sein. Oder er versucht, mir aus dem Weg zu gehen , dachte Carya.
    Um sich die Zeit zu vertreiben, hatte Carya tagsüber das Schloss erkundet. Die Weitläufigkeit des Herrschaftssitzes überwältigte sie nach wie vor. Das galt vor allem für die Gartenanlagen hinter dem Schloss, in denen man sich wirklich verlieren konnte. Bei diesem Ausflug hatte sie festgestellt, dass es noch zwei weitere Schlösschen auf dem Gelände gab, eins etwas größer, eins etwas kleiner – wobei kleiner immer noch bedeutete, dass es etwa so groß wie eine Bürgervilla in Arcadion war. Beide Bauwerke wirkten vernachlässigt, so als hätte dort schon länger niemand mehr gewohnt.
    Und noch etwas war Carya aufgefallen. Château Lune schien erst nach dem Mittagessen so richtig zu erwachen. Während Bedienstete und Gardisten bereits in den Morgenstunden ihren zahlreichen Geschäften im Schloss nachgingen, waren ihr kaum höhergestellte Höflinge über den Weg gelaufen. Dass ihr sowohl der Prinz als auch seine Versprochene bereits bei ihrem späten Frühstück begegnet waren, nährte in Carya den Verdacht, dass diese Begebenheit in beiden Fällen planvollem Vorgehen geschuldet gewesen war. Prinz Alexandre hatte nur deshalb den Gästeflügel aufgesucht, weil er von ihrer Anwesenheit unterrichtet worden war. Und das Gleiche musste auch für Aurelie gegolten haben. Dieser Palast hatte überall Augen und Ohren.
    Das bedeutete allerdings nicht, dass man immer wahrgenommen wurde. Zumindest Cartagena weigerte sich gegenwärtig standhaft, Carya zur Kenntnis zu nehmen. Denn wie sie es befürchtet hatte, regte sich auch diesmal auf ihr Klopfen hin nichts hinter der Tür. Ihr geheimnisvoller Wohltäter, dieser Angehörige einer ominösen Erdenwacht, machte es ihr wirklich schwer.
    Unzufrieden ruckelte sie an der Klinke – und stellte zu ihrer Überraschung fest, dass die Tür zu den Gemächern des Botschafters unverschlossen war. Ein nachlässiger Diener, der dort geputzt hatte, musste vergessen haben, die Tür wieder zu verschließen. Ein trotziger Gedanke keimte in Carya auf. Ich gehe jetzt einfach hinein, setze mich dort in einen Sessel und warte so lange, bis Cartagena das nächste Mal vorbeikommt. Dann kann er mir nicht mehr aus dem Weg gehen, sondern muss mir Rede und Antwort stehen.
    Ihr war bewusst, dass sich so etwas nicht gehörte. In Arcadion wäre sie auch nicht einfach in eine offen stehende Wohnung marschiert. Aber es gab auf dem Flur keine Sitzgelegenheit, und außerdem würde Cartagena ja sicher bald kommen, und sie wollte schließlich auch gar nichts anfassen oder durchwühlen, was sie nichts anging.
    Der letzte Gedanke ließ sie innehalten. Womöglich sollte sie den Punkt mit dem Durchwühlen noch einmal überdenken. Die unverschlossene Tür war nicht bloß eine Prüfung ihrer Moral, sondern zugleich eine günstige Gelegenheit. Es nagte doch schon den ganzen Tag an ihr, dass sie praktisch nichts über den Botschafter und seine Motive wusste. In diesen Räumen mochte die eine oder andere Antwort auf ihre Fragen liegen.
    Verstohlen warf Carya einen Blick nach links und rechts. Einige Meter den Gang hinunter staubte ein Diener die Steinbüsten vergangener Herrscher ab. Als er kurz zu ihr hinüberschaute, bedachte sie ihn mit einem flüchtigen Lächeln. Dann wandte sie sich demonstrativ um und schritt zurück in Richtung Treppenhaus. Sie lief die Stufen bis zum ersten Absatz hinauf und wartete dort.
    Ein paar Minuten später tauchte der Diener mit seinem Staubwedel unter ihr auf und machte sich auf den Weg ins Erdgeschoss. Kaum war er außer Sicht, da huschte Carya auch schon wieder in den Gang zurück. Rasch versicherte sie sich, dass niemand zugegen war. Dann öffnete sie die Tür zu Cartagenas Zimmern und schlüpfte hindurch.
    Der Speiseraum sah noch genauso aus wie gestern: prachtvoll eingerichtet und weitgehend unberührt. Cartagena reiste mit überschaubarem Gepäck, und er hielt es obendrein beisammen. Sah man von einer Karaffe mit Wein und einer Schale Obst auf dem Tisch ab, deutete nichts in

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