Im Schatten des Mondkaisers (German Edition)
konnte. Weitere Schritte waren zu hören, gefolgt vom Klirren von Glas und dem Gluckern einer Flüssigkeit. Der Botschafter schenkte sich einen Becher Wein ein. Carya spürte, wie ihr mulmig zumute wurde. Hoffentlich beabsichtigte er nicht, es sich jetzt den Rest des Abends in seinen Gemächern gemütlich zu machen. Das würde für sie ein paar sehr lange und ungemütliche Stunden bedeuten.
Doch es wurde noch schlimmer! Zu ihrem Grausen kam Cartagena geradewegs zu ihr ins Schlafzimmer geschlendert. Geräuschvoll schlürfte er seinen Wein und summte nebenher eine Melodie, die Carya nicht kannte. Er zog seinen Schreibtischstuhl zurück und ließ sich mit leisem Ächzen darauf nieder.
Carya wagte nicht zu atmen. O Licht , ging es ihr durch den Kopf. Gleich wird er sehen, dass das Schloss an seiner Mappe geöffnet wurde. Natürlich wird er nicht wissen, wer verantwortlich dafür ist, aber ich stehe auf seiner Liste der Verdächtigen ganz sicher weit oben. Außerdem beginnt er dann vielleicht, das Zimmer abzusuchen, um nachzuschauen, ob sonst noch etwas mit seinen Sachen angestellt wurde. Und findet mich unter dem Bett liegend vor. Er wird mich umbringen. Ich weiß viel zu viel. Er bringt mich um. In ihrem Kopf rasten die Gedanken, während sie nach einem Ausweg aus dieser kniffligen Situation suchte, ohne einen zu finden.
Ein Klopfen an der Tür rettete sie.
»Ach, wer ist das denn jetzt schon wieder?«, brummte Cartagena unwillig.
»Verzeihung«, meldete sich eine zaghafte Stimme von nebenan. »Monsieur Ambassadeur? Seid Ihr zugegen?«
»Ja, ja, ich komme schon«, erwiderte Cartagena, stand auf und verließ das Schlafzimmer.
»Man bat mich, Euch auszurichten, dass das Abendessen an der kaiserlichen Tafel angerichtet ist«, meldete der Diener.
»Natürlich. Vielen Dank. Ich komme gleich. Oh, bitte gehen Sie nach oben und holen Sie meine Begleiterin Carya ab. Sie mag sich zu uns an die Tafel gesellen.«
»Sehr wohl, Monsieur Ambassadeur.«
Als der Diener verschwunden war, kam Cartagena erneut ins Schlafzimmer. Er stellte sich vor den Spiegel im Raum, zupfte ein wenig an seiner Kleidung herum, brummte zufrieden und machte sich auf den Weg. Die Tür schlug zu, und Carya war wieder allein. Sie wartete noch eine kurze Weile, nur für den Fall, dass er zurückkehrte, weil er etwas vergessen hatte, aber es blieb alles ruhig.
Schließlich robbte sie wieder unter dem Bett hervor und kam auf die Beine. Erschrocken blickte sie auf ihr weiß verstaubtes Kleid. Rasch versuchte sie, den Staub abzuwischen, doch der Stoff erwies sich als widerspenstig. Ganz bekam sie ihn nicht weg. Das muss ich waschen , dachte sie. Und heute Nacht vor dem Ofen trocknen, damit ich es morgen wieder anziehen kann. Sie nahm sich vor, Cartagena um ein weiteres Kleid zum Wechseln zu bitten. Es war keine Bitte, die Misstrauen erwecken würde. Immerhin konnte es durchaus mal passieren, dass man sich durch eine Unachtsamkeit schmutzig machte.
Aber eins nach dem anderen , entschied sie. Schnell trat sie an den Schreibtisch und verschloss die schwarze Mappe wieder. Sie huschte zur Schlafzimmertür und durch den Speiseraum zum Ausgang. Vorsichtig lugte sie nach draußen. Niemand war zu sehen. Erleichtert glitt sie auf den Korridor hinaus und machte sich, einen Umweg durch den hofseitigen Teil des Südflügels nehmend, auf zu ihrem eigenen Zimmer.
Als sie dort eintraf, war von dem Diener, der sie abholen sollte, keine Spur zu sehen. Das kam ihr nur zupass. Sie verschwand in ihrem Gemach und verriegelte die Tür von innen. Jetzt erst wagte sie wirklich aufzuatmen. Es war kaum zu fassen, dass sie aus dieser heiklen Lage unbeschadet herausgekommen war.
Carya schlüpfte aus den Schuhen und legte ihre Kette ab. Anschließend zog sie das Kleid aus und machte sich daran, den Staub auszuwaschen. Sie hängte es über einen Stuhl und schob diesen vor den Ofen in der Ecke des Raums. Obwohl das eigentlich die Aufgabe der Diener war, machte sie ihn auf, legte zwei frische Holzscheite nach und öffnete danach die Belüftungsschlitze am unteren Rand des Ofens, um das Feuer anzufachen.
Schon bald wurde es mollig warm in ihrem Gemach, was Carya, die nur noch Untergewand und Strümpfe trug, sehr recht war. Im Schneidersitz hockte sie sich aufs Bett und fing an, ihren Zopf aufzuflechten, um ihr Haar für die Nacht zu bürsten, ein Luxus, auf den sie lange genug hatte verzichten müssen. Etwas anderes, als Schlafen zu gehen, blieb ihr auch nicht übrig. Ohne ihr Kleid
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