Im Schatten des Mondkaisers (German Edition)
jedoch noch sehr jung aus. Alle älteren waren offensichtlich gefällt worden, wie Jonan an zahlreichen, mit groben Axthieben bearbeiteten Stümpfen am Rand des Parks sehen konnte.
Als Jonan den Blick nach rechts richtete, fiel ihm ein merkwürdiges Gebäude auf. Es handelte sich um eine zweigeschossige Anlage, die entfernt an ein liegendes L erinnerte und im ersten Stock eine breite Dachterrasse aufwies, auf der sich sowohl trichterförmige als auch glockenartige Konstruktionen aus Metall und Glas – oder vielmehr Glasresten – erhoben. Die futuristisch anmutenden Auswüchse schienen wenig bis gar keinen Zweck zu erfüllen und waren womöglich reine Zierelemente, von einem eigenwilligen Architekten aus der Zeit vor dem Sternenfall entworfen.
Der Hof vor dem Gebäude bildete ein großes Rechteck und tauchte in Stufen in die Tiefe ab. Die Wände dieser umgekehrten Stufenpyramide bestanden ebenfalls aus Metallbögen und Glas, wobei das Glas in der Zwischenzeit fast überall durch Bretterwände und Planen ersetzt worden war. An der Südseite befand sich auf Straßenniveau eine Art Eingangsbereich, der aus einigen Metallbögen und einem Loch im Boden bestand, in das Treppen hinunterführten. Unterschiedlichste Gerüche und der ferne Hall von Musik und vielen Stimmen drangen ihnen entgegen.
»Ich bin gespannt, was uns dort unten erwartet«, brummte Jonan, als er das Mofa hinter einem Mauerstück parkte. Dem Soldaten in ihm zuckte es in den Fingern, das Gewehr von der Schulter zu nehmen. Aber er widerstand dem Bedürfnis.
Auf der Treppe beglückwünschte er sich für diese Entscheidung. Denn Pitlit und er hatten kaum die Hälfte der Stufen in die Tiefe zurückgelegt, als ihnen von unten plötzlich drei kräftige Männer in dunklen Lederjacken entgegenkamen, die einen vierten zwischen sich trugen. Der Mann kämpfte gegen den Griff des Trios an und stieß in einem fort Verwünschungen aus.
»Halt’s Maul!«, herrschte ihn einer der Lederjackenträger an. Er hatte einen Bürstenschnitt und einen Unterkiefer, an dem man sich die Faust blutig schlagen konnte, sollte man den Fehler machen, ihm eine verpassen zu wollen.
»Und sei froh, dass wir dich nicht gleich kaltmachen«, fügte sein Kamerad hinzu, dessen linke Gesichtshälfte von einem Narbengeflecht verunziert wurde.
Mit raschen, energischen Schritten trugen die drei Männer mit den Lederjacken, auf deren Rücken ein grinsender silberner Totenkopf aufgenäht war, den Ruhestörer an Jonan und Pitlit vorbei bis zum oberen Ende der Treppe. Dann holten sie kurz aus und warfen ihn buchstäblich nach draußen. »Das ist deine letzte Warnung, du kleiner Mistkerl«, rief ihm das Narbengesicht nach. »Wenn du hier noch einmal auftauchst, bist du fällig. Dann schlagen wir dir den Schädel ein und verfüttern dich an die Ratten in der Metro!«
Jonan beugte sich zu Pitlit hinunter. »Das sind also die netten Marktwächter. Um die sollten wir einen Bogen machen.«
Der Straßenjunge nickte bloß stumm. Er wirkte ein wenig blass um die Nase.
»Komm.« Jonan wandte sich um und marschierte den Rest der Treppe hinunter.
Eine Atmosphäre wie auf einem Basar empfing sie. Überall lagen Teppiche und Wolldecken auf dem Boden, auf denen Waren unterschiedlichster Art feilgeboten wurden: Kerzen, Treibstoff, Lebensmittel in Dosen, Wasserflaschen, Waffen, Kleider, ja sogar Spielzeug. Die Händler, auffällig oft von dunkler Hautfarbe, hockten daneben auf dem Boden oder auf irgendwelchen Klappstühlen. Andere, größere Stände waren aus Holz gezimmert, und nun glaubte Jonan zu wissen, wo ein Großteil der im Park vermissten Bäume geblieben war.
Zwischen den Verkaufsständen hatten einige Männer und Frauen kleine Grills aufgestellt, auf denen sie Fleisch brieten, um es den Besuchern des Marktes anzubieten. Jonan befürchtete, dass es sich um das Fleisch von Ratten oder streunenden Katzen handelte. Denn auch wenn er auf dem Weg nach Paris Schafe und Rinder auf Weiden gesehen hatte, bezweifelte er, dass die Grillbesitzer Zugriff darauf hatten. Mit etwas Glück besaßen sie ein paar Hühner.
Darüber hinaus hatte sich in den unterirdischen Gängen und Hallen, durch die Jonan und Pitlit schlenderten, das übliche Potpourri aus fragwürdigen Gestalten versammelt, das man auf so einem Markt treffen konnte. An einer Ecke versuchte ein Hütchenspieler, die Leute zum Mitmachen zu bewegen. An einer anderen standen zwei Männer mit Akkordeon und Geige und sorgten für eine mehr oder weniger
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