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Im Schatten des Mondkaisers (German Edition)

Im Schatten des Mondkaisers (German Edition)

Titel: Im Schatten des Mondkaisers (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Perplies
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würden Sie wirklich für mich tun?«, fragte Carya überrascht.
    »Botschafter Cartagena ist ein Mann von großem Einfluss. Es ist nicht ratsam, seinen Unwillen zu erregen«, erwiderte der Diener trocken.
    »Na schön. Dann machen Sie es so.« Sie zog die Bettdecke bis zum Kinn hoch. Es war ihr schon unangenehm genug, dass ein fremder Mann durch ihr Zimmer spazierte, während sie im Bett lag. Dazu kam, dass das Untergewand recht tief ausgeschnitten war und zudem nur dünne Träger hatte, um unter dem Kleid nicht aufzufallen. Sie wollte den Mann nicht auf falsche Gedanken bringen, indem sie zu viel nackte Haut zeigte.
    Doch einmal mehr hatte sie die Dienerschaft von Château Lune unterschätzt. Steif trat der livrierte, an den Schläfen bereits ergrauende Mann ein, ging zu ihrem aufgehängten Kleid hinüber und nahm es an sich. Dabei bedachte er sie mit nicht mehr als einem beiläufigen Blick und einem höflichen Nicken. Mit dem nassen Kleidungsstück in der Hand vollführte er eine Kehrtwende und marschierte zur Tür zurück. »Ich bin gleich wieder da«, versprach er.
    In der Tat dauerte es kaum eine Viertelstunde, bis es erneut an Caryas Tür klopfte. In der Zwischenzeit hatte sie sich frisch gemacht und ihr Haar zu einem zumindest losen Zopf geflochten. Sie ging hinüber und öffnete die Tür einen Spaltbreit. Wie erwartet stand der Diener im Flur. »Ihr Kleid«, sagte er und hielt ihr ein Gewand aus taubengrauem und königsblauem Stoff hin.
    Dankend nahm Carya es entgegen. »Ich bin gleich fertig«, versprach sie.
    »Sehr wohl, Mademoiselle. Ich warte vor der Tür.«
    Fünf Minuten später hatte sie sich angezogen und betrachtete sich im Spiegel. Das Kleid vermochte nicht ganz den prachtvollen Eindruck des anderen zu erwecken, aber vermutlich konnte sie froh sein, dass sie nicht in der einfachen Bluse und dem braunen Rock aus Arcadion vor den Mondkaiser treten musste – genauso gut hätte sie einen Kartoffelsack anziehen können.
    Zum Abschluss legte sie noch Cartagenas Kette um, in der Hoffnung, dass es ihm gefallen würde. Dann verließ sie ihr Zimmer, und der Diener führte sie durch die Gänge ein Stockwerk tiefer und in den Hauptflügel des Schlosses.
    »Wie groß wird die Gesellschaft sein?«, wollte Carya von ihm wissen. »Sind wichtige Gäste zugegen?«
    »Es wird nur im kleinen Kreis gespeist, vielleicht vierzig Personen. Wichtige Gäste hat das Schloss im Augenblick wenige. Die herausragenden sind zweifellos der Botschafter und die Sondergesandte.«
    »Aha, danke.« Carya fragte sich, wie auf dem Schloss wohl eine rauschende Ballnacht aussah, wenn ein Abendessen mit vierzig Personen als »kleiner Kreis« bezeichnet wurde.
    Der Diener führte sie durch eine Flucht prachtvoll eingerichteter Zimmer, bis zu einer offen stehenden Doppeltür, aus der Besteckklappern, Gläserklirren und zahlreiche Stimmen drangen. Ohne weitere Umschweife wollte er eintreten, doch Carya hielt ihn am Ärmel zurück. »Warten Sie«, bat sie. »Was verlangt die Etikette, wenn ich eintrete? Muss ich dem Kaiser irgendwie Respekt zollen?«
    »Das müssen Sie immer«, antwortete der Diener. »Aber nicht beim Eintreten. Dies ist ein ungezwungenes Essen, und Sie sind kein Ehrengast. Folgen Sie mir einfach. Ich bringe Sie zu Botschafter Cartagena. Dort steht ein Gedeck für Sie bereit. Alles Weitere wird er Ihnen sicher mitteilen.«
    »Ich danke Ihnen.«
    »Keine Ursache, Mademoiselle.« Mit einer knappen Neigung des Kopfes drehte er sich wieder um und ging durch die Tür. Carya folgte ihm.
    Der Raum war annähernd quadratisch und überreizte in seiner Pracht geradezu die Sinne. An einer blau gemaserten Tapete hingen riesige Ölgemälde in Silberrahmen. Aufwendige Stuckarbeiten, ebenfalls versilbert, bildeten die Grenze zur gewölbten Decke, die ihrerseits mit detailreichen Szenen bemalt war. Zwei Kristallkronleuchter, die von der Decke hingen, sorgten mit jeweils zwölf Kerzen für Licht. In einem breiten Steinkamin glühten dicke Holzscheite und verbreiteten angenehme Wärme. Das war auch angebracht, denn ihm gegenüber, an der linken Wandseite, gab es eine Front mit drei bodentiefen Fenstern, von denen eines leicht geöffnet war und auf einen Balkon hinauszuführen schien.
    Der Großteil des Raums wurde durch eine hufeisenförmige Tafel eingenommen, an der die Speisenden saßen. An den Seiten hatten sich die normalen Höflinge versammelt, von denen Carya mittlerweile sogar eine Handvoll erkannte – etwa Magister Milan, den

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